Stille? Die gibt es in meinem Leben nicht. Egal ob dröhnende Musik während der Autofahrt, das monotone Gemurmel aus dem Radio, das meine Wohnung erfüllt oder ein Podcast, der mich beim Putzen oder Kochen berieselt – ich bin umgeben von einer permanenten Geräuschkulisse. Während einige die Ruhe genießen, macht es anderen Angst, gar keine Geräusche zu hören. So wie mir. Noch bevor ich morgens die Kaffeemaschine anwerfe, widme ich mich Spotify. Erst, wenn die ersten Töne aus meinem Handy schallen, kann ich entspannt in den Tag starten. Auch der Weg in die Arbeit ist nicht weniger geräuschvoll. Musik, Telefonate, aktuelle Nachrichten. Hauptsache nicht leise – genauso wie die Joggingrunde nach Feierabend. Bin ich wieder Zuhause, mache ich den Fernseher an und fiebere mit den Protagonisten meiner Lieblingsserie, bis ich schließlich ins Bett gehe und einen Podcast starte, zu dem ich einschlafe. Eine Flut an audiovisuellen Reizen, die ich lange nicht bemerkt habe. Bis vor einigen Wochen. Ich sitze in meiner Küche. Irgendetwas stimmt nicht. Ich werde nervös. Was ist anders als sonst? Dann höre ich es: Es ist still. Beängstigend still. Hektisch suche ich nach meinem Handy und drücke den erlösenden Startknopf. Kida Ramadan und Frederick Lau holen mich mit ihrem Podcast „Reich und Schön“ aus dieser zermürbenden Geräuschlosigkeit. Ich bin erleichtert – und gleichzeitig erschrocken. Wann ist Stille für mich etwas so lautstark Beunruhigendes geworden? Und warum? Die Antwort ist einfach: Wird es still um uns, werden unsere Gedanken laut. Und mit ihnen alle Probleme, Sorgen sowie die kleinen und großen Päckchen, die wir tagtäglich mit uns herumschleppen. Stille zwingt uns dazu, dass wir uns mit uns selbst auseinandersetzen und uns allem Unschönen stellen, dass wir allzu gerne tief vergraben. Warum sich dem aussetzen, wenn man ganz einfach ein Gerät einschalten kann, um selbst abzuschalten, nicht wahr? Gleichzeitig vermittelt mir die Dauerbeschallung ein Gefühl von Leben um mich. Eine Gewohnheit, die ich mir seit dem ersten Corona-Lockdown, in dem diverse Podcaster meine virtuellen Mitbewohner geworden sind, beibehalten habe. Ich habe mich also mit meiner liebgewonnenen Ruhelosigkeit arrangiert und als täglichen Begleiter akzeptiert. Bis vor einigen Tagen. Ich war zu Besuch bei Freunden. Natürlich alles andere als lautlos. Musik zum Essen, angeregte Gespräche. So, wie ich es mag. Doch dann ist etwas Merkwürdiges passiert. Ich wollte ein bisschen frische Luft schnappen und ging in den Garten – und plötzlich war es vollkommen still. Kein Motorengedröhne vorbeifahrender Autos, kein Baustellenlärm, nicht einmal ein Vogel, der vom Baum zwitschert. Einfach nur Stille. Und das erste Mal seit langer Zeit empfand ich diese völlige Lautlosigkeit als etwas Schönes. Befreiend. Ich stehe also in der Dämmerung im Garten, schließe die Augen und genieße die Ruhe. Atme tief durch, während sich jede Faser meines Körpers entspannt. Und ich frage mich: Ist Stille doch nicht so furchteinflößend, wie ich immer dachte? Sollte ich ihr öfter eine Chance geben?
Genau das habe ich getan, mir bewusst Momente der Stille gesucht und sie zugelassen. Es war eine vorsichtige Annäherung, Schritt für Schritt. Aber ich habe gemerkt, wie viel Potenzial doch in ihr steckt. Wie bereichernd es sein kann, auf meinem Sofa zu sitzen und nichts als meinen eigenen Atem zu hören, während ich meine Gedanken schweifen lasse. Warum? Weil ich durch diese Stille endlich wieder meine innere Stimme hören kann. Mich mit Ängsten, aber auch mit meinen Träumen und Zielen konfrontiere und mich ehrlich hinterfrage. Ich überdenke. Akzeptiere. Lasse los. Werde stärker. Ich mache das, was ich viel zu lange von mir weggeschoben habe: Ich lerne mich besser kennen. Zugegeben, es ist nicht immer leicht. Und noch immer kann ich sie nicht permanent ertragen, diese Stille. Einschlafen ohne Podcast? Undenkbar. Doch ab und zu bleibt er aus. Du lässt dich gerade berieseln? Dann drück den Stopp-Knopf und lausche der Stille – und dir selbst. Ich verspreche dir, es wird sich lohnen.
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