Wenn es um ihr emotionales Gedächtnis geht, sieht das anders aus.
Wie du dir das vorstellen musst? Ich lebe immer im Hier und Jetzt. Ich fühle, was ich gerade erlebe. Denke über das nach, was akut ist. Mein Alltag ist oft so sehr von Terminen und Hektik bestimmt, dass ich keine Zeit habe, mich in vergangene Gefühlswelten zu versetzen. Die Folge? Ich vergesse … und verliere Erinnerungen, die doch so bereichernd sind. Fangen wir mit einem banalen Beispiel an. Es ist Winter. Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Ich stapfe durch den Schnee und versuche zwanghaft, die Kälte von mir fernzuhalten. Ob ich mir in diesem Moment den Sommer vorstellen kann? Keine Chance. Als ob ich ihn noch nie erlebt hätte. Erst, wenn die Temperaturen steigen und ich die ersten warmen Sonnenstrahlen spüre, weiß ich wieder, wie er sich anfühlt. Ich brauche bestimmte Reize, die mich in Situationen und Gefühle aus meiner Vergangenheit zurückversetzen. Das kann die Sonne ebenso sein wie bestimmte Gerüche oder Orte, an denen ich schon lange nicht mehr gewesen bin. Ich kann diese Augenblicke nicht beeinflussen, aber es ist jedes Mal ein kleines Wunder, wenn ich sie erlebe. Weil sie Erinnerungen zurückbringen, an die ich schon jahrelang nicht mehr gedacht habe. Die ich bewusst niemals hätte zurückholen können, die ich in diesen Momenten aber wieder so spüre, als wäre ich wieder mittendrin.
Steigt mir der Geruch von Flieder in die Nase, versetzt er mich schlagartig an den wunderschönen, einsam gelegenen Packer Stausee in Österreich zurück. Ich sitze mit einer Freundin auf dem kleinen Holzsteg, der in den im Licht schimmernden See ragt. Wir trinken Wein, während die Sonne langsam hinter den Bergen untergeht. Wir reden über alles, was uns bewegt, bewundern die atemberaubende Kulisse … und sind glücklich. Ich denke nie daran. Außer, ich rieche Flieder. Dann ist sie wieder da, diese schöne Erinnerung. Genauso geht es mir mit bestimmten Liedern, die mich schlagartig in meine Kindheit oder an besondere Gedankenorte zurückversetzen. Höre ich „ThunderStruck“ von ACDC im Radio, sitze ich plötzlich im Auto neben meinem Papa, der lautstark mitsingt und sich über die Gitarrenriffs freut. Schallt „Paint it black“ von den Stones aus den Lautsprechern, stehe ich im Münchener Olympiastation – inmitten von tausenden von Menschen. Spannung liegt in der Luft an diesem Sommerabend, genauso wie der Geruch von Bier. Dann betreten die Stones die Bühne … eines der besten Konzerte meines Lebens.
Ich liebe diese gedanklichen Flashbacks. Lange dachte ich, dass sie nur bestimmte Reize auslösen können … bis ich vor ein paar Wochen einen Freund aus meiner Jugend wiedergetroffen habe. Purer Zufall. Samstagabend, 23.30 Uhr. Plötzlich steht er vor mir. Nach über 15 Jahren. Was soll ich sagen, schon sein Lächeln und das „Hi Ju“ haben mich sofort in mein 17-jähriges Ich versetzt. Wir haben lange geredet. In dieser Nacht und auch danach. Er hat mir von seinen Erinnerungen an unsere Zeit erzählt, den Nachmittagen, die wir mit Freunden am See verbracht haben. Den Filmen, über die wir damals zusammen gelacht, die Musik, die wir gehört haben. Wir haben uns an unsere damaligen Lebenspläne erinnert und uns erzählt, was daraus geworden ist. Wir sind erwachsen geworden und in so vielen Hinsichten immer noch genauso wie in unserer Jugend. 15 Jahre … und so viele Erinnerungen.
Wie ich dir erzählt habe, steht es um mein emotionales Gedächtnis schlecht. Und genau das will ich ändern. Ich habe gemerkt, wie bereichernd diese Begegnung für mich war. Wie schön es ist, sich an Momente aus der Vergangenheit zu erinnern und sich noch einmal in sie hineinzuversetzen, sie noch einmal zu erleben. Denn sie sind ein Teil von uns. Haben uns zu dem gemacht, was wir heute sind. Sie sind es wert, die Hektik und den Alltagsstress für einige Augenblicke zu vergessen und uns ihnen zu widmen. Wie steht es also um dein Gedächtnis? Ich hoffe, du kannst dich an alles erinnern, was doch so bereichernd sein kann.
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