Frisch gepresst: Neue Musik aus allen Stilrichtungen und Ecken der Welt

Oberpfalz
22.03.2023 - 18:56 Uhr

Wer schon lange mal hören wollte, wie(angeblich) äthiopischer Funk klingt, muss bis zur letzten Rezi durchhalten, die neuen Pornographen ganz am Anfang dieser Ausgabe sollte man aber keinesfalls verpassen.

Ob Plattenteller, CD-Player oder Spotify-Playlist: Wir haben neue Musik für euch.

The New Pornographers - Continue as a Guest (Cargo)

The New Pornographers - Continue as a Guest (Cargo)

A.C. Newman und Neko Case sind als Solisten fast bekannter als ihre Mitgliedschaft (b.z.w. Vorstandschaft) dieser Kapelle aus Vancouver. Seit Ende der 90er Jahre veröffentlichte sie nun schon stets hochwertige Platten zwischen (Art-)Pop und Indie-Rock, die wie etwa bei The Beautiful South vom Zwiegesang der beiden leben. Geschickt gesetzte Bläser oder auch mal eine Pedal-Steel bereichern die eh schon üppig wie interessant gestrickten Arrangements und Melodien. Das 9. Album wurde in Zusammenarbeit mit Dan Bejar (Destroyer), Kathryn Calder, John Collins, Todd Fancey und Joe Seiders sowie des Saxophonisten Zach Djanikian geschrieben. Wer Arcade Fire schon ziemlich gut findet, wird hier in Freudentränen ausbrechen.

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Matt Holubowski - Like Flowers on a Molten Lawn (The Orchard)

Matt Holubowski - Like Flowers on a Molten Lawn (The Orchard)

Der Singer/Songwriter aus Montreal (wir erinnern uns, in der letzten Ausgabe ging es darum, dass Kanadier nicht nur die besseren Amerikaner sind, sondernd auch die schönere Musik machen) sagt über sein neues Opus: „Nun, ich schätze, es geht darum, wie es sich heutzutage anfühlt, als wären wir alle wie Blumen, die auf einem geschmolzenen Rasen wachsen - mit beiden Füßen gefangen in zweitausend Grad unversöhnlicher Landschaft - und dennoch schafft es die Schönheit, aus diesem feindlichen Boden zu sprießen. Irgendwie finden wir immer einen Weg, etwas Schreckliches in etwas Schönes zu verwandeln“. Zu derlei Philosophiererei darf sich jetzt jeder seine eigenen Gedanken machen, Holubowski hat beim Schreiben der neuen Lieder offensichtlich viel nachgedacht. Dabei sind dem Manne aber auch wunderschöne Melodien zu seinen kryptischen Geschichten eingefallen. Diese sind teils mit sperrigen Polyrhythmen durchzogen und konterkarieren so die üppigen Bläser- und Streicher-Arrangements (teils von Owen Pallet). Überhaupt ist diese Platte ein Märchenwunderland der Obskuritäten, der seltsamen Wendungen, zarten Verästelungen, und somnambulen Wolkenkuckucksheim-Bauten, die in keine Schublade passen. Ein Melodien-Gärtner und Heger bedrohter Wild-Blumen (um in seinem Duktus zu bleiben).

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Death And Vanilla – Flicker (Cargo)

Death And Vanilla – Flicker (Cargo)

Malmö ist eine sehr schöne, aufgeräumte, selten aber pittoreske oder gar verspielte Stadt. Die Architektur ist skandinavisch klar und strukturiert. Sängerin Marleen Nilsson und ihre Kapelle brechen aus diesem eher industriellen Gefüge aus und geben sich schwebenden, psychedelischen Dream-Pop-Klängen hin, die auf repetitive Rhythmus-Muster des Kraut-Rock und wummernde Bässe des Dub-Reggae treffen. Alte, analoge Synthesizer bestimmen das Bild, die Gitarren klingen dezent im Hintergrund, alles ist Melodie, alles ist Sound. Mazzy Star, Laika, Broadcast, Adrian Sherwood und natürlich Stereolap und Spiritualized fallen einem dazu ein. Klingt wie ein Marshmallow.

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Gidon Carmel - The Story of Goabi

Gidon Carmel - The Story of Goabi

„The Story of Goabi“ ist die kreative Vision des israelischen Multiinstrumentalisten und Produzenten Gidon Carmel und seines britischen Co-Produzenten und Musikers Tim Hook. Das Konzeptalbum erzählt die herzzerreißende Geschichte von Goabi dem Außerirdischen, einem intergalaktischen Wesen, das vom Himmel stürzt und sich auf dem Planeten Erde einem feindseligen Schicksal durch die missgünstige Menschheit ausgesetzt sieht. Aufgenommen und produziert in Berlin, stammen die Songwriter und Künstler von Goabi aus allen Teilen der Welt - aus Großbritannien, Australien, Italien, Schweden, Deutschland und darüber hinaus. Jeder der zwölf Songs entstand als individuelles Projekt, wobei jeder Künstler die volle Verantwortung und künstlerische Freiheit besaß, seinen Teil der Geschichte von Goabi zum Leben zu erwecken. Mitwirkende Künstler sind u.a. Amistat, Coby Grant, Alberta Cross, Ben Wuyts, Children, Lena Minder.

Goabi ist ein wegweisender Kommentar über die Art und Weise, wie wir auf dem Planeten Erde miteinander umgehen und übereinander denken: ein Fest der Traurigkeit, der Geduld und der Einsamkeit. Aber auch eines der Hoffnung und der Reflexion, untermalt von Pathos und dem Willen, eine bessere Welt zu erschaffen.

Die musikalische Klammer um die Geschichte reicht dabei vom Folk über Prog-Rock bis hin zu Ambient, Neo-Klassik und Orchester-Pop. Wenngleich auch viele Köche hier gewirkt haben, der Brei klingt stimmig.

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M83 – Fantasy (Virgin)

M83 – Fantasy (Virgin)

Anthony Gonzalez ist ein Sound-Tüftler, der in der Tradition eines Mike Oldfield oder Richie Sakamoto steht. Cinemascope-große Synthi-Wände werden hier errichtet, in die ein Wall-Of-Sound an Gitarren hereinbricht. Alles ist groß, üppig barock eingerichtet, auch ein Ruppert Hine und natürlich die Kollegen von Yes hätten Ihre Freude daran. Das ist Prog-Rock ohne solistische Orgasmen, das Ganze zählt. Eine Art Rock-Oper mit viel Dynamik in den Stücken, theatralisch, dramatisch, fett. Glissando-Prog.

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Ber - Halfway (AWAL)

Ber - Halfway (AWAL)

Die Singer/Songwriterin aus Minnesota pendelt auf dieser EP zwischen hauch-zartem Folk-Picking und bösen Grunge-Gitarren. Zart, fragil und liebreizend wie ein Engelchen und eben grummelig wie Krampus. Verhandelt wird auf jeden Fall die Liebe, b.z.w. deren Scheitern und die Wut und Hilflosigkeit danach mit seinem Taumeln durch Dating-Portale, One-Night-Stands, oder eben „Boys Who Kiss You In Their Car“, so ein Songtitel. Alles autobiographisch, alles echt -auch der Schmerz. Erinnert nicht nur von der Ästhetik her ein wenig an Wet Leg.

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Martin Kohlstedt – FELD

Martin Kohlstedt – FELD

Es ist schön, dass sich in unserer schnelllebigen Zeit, die von Hype zu Hype hetzt auch noch so eine kontemplative Musik seine Zuhörerschaft bewahren kann. Auf der in Kürze beginnenden Tournee des Musikers und Klangschöpfers aus Weimar sind schon diverse Konzerte ausverkauft. Kohlstedt steht in der Tradition früher Klangforscher und Electronic-Pioniere wie Tangerine Dream, Michael Rother oder Klaus Schulze, die Musik eines Nils Frahm ist seiner nicht unähnlich. Neben diversen Keyboards und vor allen Synthesizern lockern Tüpfelchen aus Viola, Percussion, Brass, Harfe, diversen Percussion, einem Baritone Sax und sogar ein wenig Gesang den sphärisch-mäandernden Sound-Teppich auf.

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Avey Tare – 7s (Domino)

Avey Tare – 7s (Domino)

Avey Tare aka Dave Portner ist der vierte im Bunde von Panda Bear, Geologist und Deakin aka Animal Collective. Die ersten Demos zu seinem Solo-Album entstanden gleich im Anschluss und gleichem Studio wie das letzte Band-Album. Es ist also auch nicht verwunderlich, dass ich die Sounds hier gleichen. „7“ (es befinden sich sieben Lieder auf der Platte) klingt somit wie ein Outtake-Album, wobei es sich hier nicht um Ausschuss handelt. Teils, wie im Opener „Invisible Darlings“, sind diese Lieder gar viel zugänglicher, hier geradezu putzig und lustig geraten. Nach eigenen Aussagen soll es eine Mischung aus äthiopischem Funk und federleichten brasilianischen Samba sein. Wer äthiopischen Funk kennt, freut sich, dass diese Aussage nicht stimmt. Nach diesem leicht goutierbaren Einstieg, nervt der Sound von „Lips At Night“ ob des dumpfen Bass-Brodelns ein wenig, das federleichte und doch vertrackte „The Musical“ schafft Erholung, wohin gehend das Neun-Minuten-Monster, „Hey Bog“ einen Tick zügiger passieren hätte können. Aber so sind sie halt diese Tiere, vor allem in jungen Jahren verspielt bis zum Geht-nicht-mehr.

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