„Ich habe das Gefühl, vor Gericht wird über die Opfer gar nicht geredet“, sagt Karin Schmid. Vier Jahre ist es her, dass bei jenem tragischen Unfall am Kreisverkehr beim Katharinenfriedhof, nahe des OTV-Studios, ihre Mutter (83) ums Leben gekommen ist. Jetzt, wo der Jahrestag dieses Unglücks, der 26. November, wieder da ist, gehen Karin Schmid, ihre Tochter Michaela Nübler und ihr Schwager Werner Koller an die Öffentlichkeit. Begleitet werden sie dabei von zwei Angehörigen des zweiten Opfers: Die Geschwister Rudolf Forster und Eva Mühlbauer trauern um ihren Vater, der mit 81 Jahren ebenfalls bei jenem Unfall ums Leben kam.
Die beiden Familien haben sich bei der Redaktion gemeldet: Sie wollen erzählen, wir sehr Hinterbliebene nach einem solchen Unfall leiden, weil sie sich völlig alleingelassen fühlen. „Man wird nicht gehört. Die Toten haben keine Stimme“, bilanziert Karin Schmid. Das Unverständnis über das Verhalten des Angeklagten, der im Wissen um seine Epilepsie Auto gefahren sei, und sein Schweigen vor Gericht kommen dabei auch zur Sprache. Deutlich machen die Angehörigen aber vor allem: Nach einem Prozess, auf den sie drei Jahre warten mussten, einer schnell wieder beendeten Berufungsverhandlung und damit einer rechtskräftigen Bewährungsstrafe für den Autofahrer hat ihr Vertrauen in die Justiz Schaden genommen. „Das hat mein Rechtsempfinden schwer gestört“, sagt Karin Schmid.
Beide Familien verstehen nicht, wie unterschiedlich Amberger Gerichte in zwei bedeutenden Prozessen geurteilt haben: Der Brandstifter, der im Dreifaltigkeitsviertel viel Schaden angerichtet, aber keinen Menschen verletzt hat, hat eine Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten bekommen. Und der Autofahrer, der im Wissen um seine Epilepsie und nach mehreren von ihm verursachten Unfällen bei einem weiteren zwei Menschen getötet und einen verletzt habe, komme mit einer zweijährigen Bewährungsstrafe und damit „mit mehr als einem blauen Auge davon“, meint Rudolf Forster. Karin Schmid bemüht das Bild der Justitia mit der Waage in der Hand: „Da sind die Waagschalen in Schieflage.“ Für die Hinterbliebenen keine Frage von Vergeltung, die die Toten ja nicht wieder lebendig machen könnten, wie sie sagen. Wohl aber eine Frage des Rechtsempfindens.
Bilder von damals bleiben
Der Unfall an sich war schlimm genug. „Ich kann an der Stelle nicht vorbeifahren, ohne daran zu denken“, gesteht Karin Schmid. Auch heute, vier Jahre danach, ist das noch so. Damals wollte sie ihre Mutter aus einem nahe gelegenen Seniorenheim zum Frühstück abholen. Als sie dort ankam, habe die diensthabende Schwester geweint – da sei ihr sofort klar gewesen, dass etwas Schlimmes passiert war. Wenig später war sie an der Unfallstelle. „Das Erste, was ich da gesehen habe, war der verbeulte Regenschirm meiner Mutter“, berichtet die Tochter: „Das Bild seh’ ich heute noch vor mir.“ So verheerend sei der Unfall gewesen, „die Polizei konnte nicht mehr zuordnen, wer mit dem Rollator und wer mit dem Fahrrad unterwegs war“. Rudolf Forsters Vater hatte sein Rad geschoben. Karin Schmids Mutter, unterwegs mit dem Rollator, gehörte der Schirm. „Wir haben ihr immer eingebläut, mit dem Rollator den Gehsteig zu benutzen.“ Ausgerechnet dort sei sie dann überfahren worden.
Als Rudolf Forster erfuhr, dass sein Vater einen Unfall hatte, wollte er unbedingt sofort ins Krankenhaus. Erst als er zu Hause von einem Seelsorger empfangen wurde, „hab’ ich es begriffen.“ Werner Kollers Frau Brigitte bittet ihn heute noch, einen anderen Weg zu nehmen, wenn sie in Richtung Unfallstelle müssen. Und Eva Mühlbauer erinnert sich noch an „das Loch in der Mauer“ des Fernsehstudios, gegen die das Auto geprallt war. Tagelang habe sie warten müssen, bis sie ihren toten Vater noch einmal sehen durfte. „Das war mir wichtig. Um es glauben zu können“, sagt sie. Die Bilder von damals hat sie noch immer im Kopf. „Aber es war trotzdem wichtig.“
Unwissenheit belastet
Schlimm war es für die Angehörigen, dass ihnen niemand sagte, wie dieser Unfall passiert ist. Ein Zufall gab einen Anhaltspunkt. Von einer Kollegin von Eva Mühlbauer, die auf dem Weg zur Arbeit Erste Hilfe leistete, hörten die Hinterbliebenen, dass von einem epileptischen Anfall des Autofahrers die Rede war. „Aber sie ist dann relativ schnell zurückgepfiffen worden.“ Es gab keine offiziellen Auskünfte.
Nicht zu wissen, was genau passiert ist, sei schlimm für die Hinterbliebenen, sagen beide Familien. Die Ungewissheit verhindere es, das Geschehene zu verarbeiten. „Jeder spricht einen darauf an. Und man weiß nichts. Das ist sehr belastend“, sagt Karin Schmid. „Vieles haben wir erst vor Gericht erfahren“, erzählt sie. Bis es so weit war, vergingen drei Jahre. Auch diese lange Wartezeit sei furchtbar gewesen, berichten die Hinterbliebenen. Sie haben erfahren, dass dies Justiz-interne Gründe hatte – Mutterschutz, eine Versetzung. Im Dienstbetrieb normal, aber für die Hinterbliebenen macht es das noch schwerer.
Offene Fragen
Karin Schmid verfolgt den Prozess im Zuschauerraum, kann dort nur zuhören. Rudolf Forster tritt als Nebenkläger auf. Er darf Fragen stellen. Bekommt aber nicht alle erhofften Antworten. Insbesondere nicht vom Unfallverursacher, der schweigt. Sein Anwalt trägt in seinem Namen eine Entschuldigung vor. Die hätten die Hinterbliebenen gerne vom Verursacher selbst gehört – und zwar nicht erst vor Gericht. „Wenn mir etwas leid tut, zeige ich Reue und tue etwas“, meint Eva Mühlbauer. Ein Brief an die Familien wäre eine Geste gewesen. Im Prozess haben die Hinterbliebenen keine Zeichen von Reue bemerkt: Für sie wirkte es so, als ginge es dem Verursacher nur darum, seinen Führerschein zu behalten.
Zwei Jahre Haft zur Bewährung: Als das Urteil gesprochen wird, sind die Hinterbliebenen fassungslos. Und schöpfen doch Hoffnung, als die Staatsanwaltschaft in Berufung geht. Also ein neuer Prozess, „und jedes Mal wird in dieselbe Wunde geschlagen“, so beschreibt es Rudolf Forster. Aber auch eine zweite Chance, Rechtsprechung und Rechtsempfinden in Einklang zu bringen.
Die zweite Verhandlung hat gerade erst begonnen, als sie schon wieder beendet ist. Nach einem Rechtsgespräch hinter geschlossenen Türen nehmen Staatsanwalt und Verteidiger ihre Berufungen zurück. Damit wird das Urteil aus erster Instanz rechtskräftig. „Ich hätte schreien können“, beschreibt Karin Schmid ihre Gefühlslage damals. Eva Mühlbauer ergänzt: „Wir haben unsere Eltern verloren. Dem Verursacher wird am Ende des Prozesses noch alles Gute gewünscht. Und den Hinterbliebenen wird noch einmal Schmerz zugefügt“.
Wenigstens eine Begründung, warum der zweite Prozess so endete, hätten sich die beiden Familien gewünscht. Sie bekamen keine. „Selbst mit einer Erklärung, die uns nicht gefallen hätte, hätten wir vielleicht endlich einen Punkt setzen können“, meint Eva Mühlbauer. Dieser Schlusspunkt fehlt den Angehörigen.
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