Tafel in Amberg weist auch 2023 niemanden ab

Amberg
04.01.2023 - 09:42 Uhr
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Dass es ein bisschen ruhiger wird: Das ist der Neujahrswunsch von Bernhard Saurenbach, Chef der Amberger Tafel, für 2023. Wobei: Er hat wenig Hoffnung, dass sich die Situation entspannt.

Ein Drittel der Tafeln in Deutschland hat angesichts eines immer größer werdenden Andrangs einen Aufnahmestopp eingehängt. Die Einrichtung in Amberg geht einen anderen Weg: Sie weist keine Bedürftigen ab, hat stattdessen die Ausgabe der Lebensmittel gestreckt.

Eine Kiste nach der anderen wird an diesem Vormittag in die Amberger Tafel gebracht. Gefüllt sind sie mit Lebensmitteln aller Art: von Joghurt und abgepackter Wurst über Schokoladenriegel für Kinder bis hin zu Salat, Obst und Gemüse. Die Tafel-Mitarbeiter begutachten die Ware, sortieren faul gewordene Paprikaschoten oder Mandarinen aus. Am frühen Nachmittag wird die Arbeit erledigt sein, schließlich ist am nächsten Tag Ausgabe bei der Amberger Tafel. Und da werden wieder viele Kunden anstehen, die auf gespendete Lebensmittel angewiesen sind, um überhaupt über die Runden zu kommen.

Seit Frühjahr viele Ukrainer

Über die Runden kommen muss auch die Tafel. Denn 2022 hat sich die Zahl der Kunden, die einen Bezugsschein für die Einrichtung haben, schlagartig erhöht. Russlands Überfall auf die Ukraine am 24. Februar hatte nur wenige Wochen später auch die Tafel zu spüren bekommen. Seitdem holen sich dort auch vor dem Krieg in ihrer Heimat geflüchtete Menschen Lebensmittel ab.

Zwischen den Jahren hat Tafel-Chef Bernhard Saurenbach schon die Statistik für 2022 erledigt: Ende des Jahres waren 1150 Haushalte bei der Tafel gemeldet – hinter dieser Zahl stehen 1696 Erwachsene und 1171 Kinder. Saurenbach hat auch Zahlen zu den ukrainischen Flüchtlingen, die sich Lebensmittel von der Tafel holen: 573 Haushalte (866 Erwachsene und 512 Kinder). Aber auch Geflüchtete aus Ländern wie Syrien und dem Irak sind auf die Tafel angewiesen. Zahlenmäßig handelt es sich dabei laut Saurenbach um 226 Haushalte (387 Erwachsene und 559 Kinder). Die Zahlen belegen: Ukrainer machen längst 50 Prozent aller Haushalte, die bei der Tafel registriert sind, aus.

Höchststand: 358 Kunden bei der Ausgabe

Bernhard Saurenbach gesteht, dass die Tafel auf den Anstieg nach Beginn des Ukrainekriegs überhaupt nicht vorbereitet gewesen sei. Er zückt ein weiteres Blatt mit statistischem Material, eine Tabelle mit der Anzahl der Kunden pro Ausgabetag. Im Januar und Februar lag deren Anzahl im Schnitt bei 180. Ab Anfang März ging die Zahl fast stetig nach oben. Den größten Andrang verzeichnete die Tafel Ende November – 358 Kunden. "Das war der Höchststand", sagt Saurenbach. Hätte die Tafel nicht selbst lang haltbare Lebensmittel gekauft, hätte sie gar nicht mehr als 200 Kunden pro Ausgabetag annehmen können.

Möglich sei dies nur durch großzügige Spenden, sowohl von Unternehmen als auch von Privatpersonen. Auch Oberpfalz-Medien unterstützt aktuell die Tafeln im Verbreitungsgebiet und spendet 5000 Euro. 1250 Euro davon gehen an die Tafel Amberg. Das Geld stammt von den Mitarbeitern und wurde von der Verlagsleitung aufgestockt. Saurenbach unterstreicht, wie wichtig diese Spenden sind. Im Keller zeigt er, wie gut dieses Geld angelegt ist. Auf einer Palette sind Packungen mit Zucker gestapelt, fein säuberlich sortiert und in Kisten gelagert sind weitere haltbare Lebensmittel wie Tee und Kaffee.

570 Dankesbriefe

"Nur dank der Spenden können wir Lebensmittel kaufen und allen Kunden etwas geben", betont Saurenbach und erzählt von den 570 Dankesbriefen, die er geschrieben hat um sich bei jenen Spendern zu melden, von denen er Adressen hatte. Immer mehr Berechtigte und weniger gespendete Lebensmittel: Um diesen Spagat zu schaffen, ohne jemanden abweisen zu müssen, hat die Tafel die Ausgabe gestreckt. Bedeutet in der Praxis: Die Menschen können nicht mehr wie früher zweimal die Woche kommen, sondern nur noch einmal.

Ein weiteres Blatt, das ausgedruckt vor Saurenbach liegt, schlüsselt das Einzugsgebiet der Amberger Tafel auf. Das Gros der Kunden hat seinen Wohnsitz in Amberg (62 Prozent), aus Sulzbach-Rosenberg kommen 13 Prozent. Andere wiederum haben einen sehr weiten Weg zu Tafel, weil sie beispielsweise in Weigendorf leben. Von dort aus kommen die Buskosten für die Fahrt nach Amberg und zurück schnell mal auf bis knapp 15 Euro, rechnet Saurenbach vor. Dank einer Conrad-Spende kann die Tafel ihre Kunden, die von weiter her kommen, nun unterstützen. "Für sie übernimmt die Tafel 50 Prozent der Fahrtkosten", sagt der Vorsitzende.

Längst plant Saurenbach fürs Frühjahr mit der Ausgabe von Gutscheinen für Bekleidung und Schuhen sowie für den nächsten Schulanfang plant. Für letzteres ist schon vorgesorgt: Im Keller bewahrt die Tafel Schultaschen auf. 2022 hatte die Tafel 50 Schultaschen an Erstklässler ausgegeben sowie 160 Schultaschen und Rucksäcke an ukrainische Schulkinder.

Weitere Flüchtlinge erwartet

Für 2023 erwartet Saurenbach keine Entspannung – im Gegenteil. Er geht von einem weiteren Anstieg der Tafelkunden aus. Zum einen glaubt er, dass mehr Leute Wohngeld beantragen werden, zum anderen könnten ein strenger Winter und fortgesetzte russische Angriffe auf die Energieeinrichtungen der Ukraine "weitere Flüchtlinge zu uns treiben". Zudem ist die Zahl der gespendeten Lebensmittel zurückgegangen. Saurenbach führt als Beispiel die bei Lidl eingeführte Rettertüte an. "Darin ist Obst und Gemüse, welches früher wir bekommen haben", sagt Saurenbach. Rund 70 Lebensmittelläden spenden aktuell an die Amberger Tafel.

Zum 1. Januar wurde das Bürgergeld eingeführt, es löst Hartz IV ab. Alleinstehende erhalten künftig 502 statt 449 Euro. Angesichts von steigenden Energiekosten und höheren Preisen für Lebensmittel glaubt Saurenbach, dass die Menschen trotzdem weniger in der Tasche haben. Er vergleicht die Anhebung des Hartz-IV-Satzes von 2021 auf 2022 um fünf Euro für Alleinstehende. Das seien 0,7 Prozent mehr, wobei die Lebensmittelpreise um 15 Prozent gestiegen seien. Die 53 Euro, die es jetzt durch die Umstellung auf das Bürgergeld mehr für Alleinstehende gibt, nennt er "gerechtfertigt", findet aber, dass es immer noch zu wenig sei.

Gewisse Waren sind bei der Tafel besonders begehrt, eine Tafel-Mitarbeiterin muss nicht lange überlegen, um das aufzuzählen: Tee und Kaffee, aber auch Fisch sowie Marmelade und Öl. Zudem Scheibenkäse und Butter, aber auch Waschmittel. Eben alles, was im Supermarkt relativ teuer ist. "Zucker geht auch immer", sagt die Frau.

"Jeder Tag ist eine neue Herausforderung", sagt Saurenbach, der sich über sehr fleißige Helfer freut. Insgesamt engagieren sich für die Tafel 85 Menschen. Der älteste Mitarbeiter wird 89 Jahre alt. "Er kommt jeden Dienstag", lobt Saurenbach dessen Einsatz. "Wir haben einige, die schon über 85 sind." Der Altersdurchschnitt der Mitarbeiter liegt bei 67 Jahren.

Auch 2023 kein Aufnahmestopp

Einen Aufnahmestopp will Saurenbach auch 2023 nicht einführen. Sollte sich die Zahl der Kunden weiter erhöhen, will er stattdessen erneut an der Stellschraube Zeitplan drehen. "360 Kunden pro Ausgabe, das wäre ungefähr die Grenze, wo wir den Zeitplan anpassen müssen." Konkret bedeuten würde dies, dass Menschen dann nur noch alle eineinhalb Wochen sich Lebensmittel holen können. Ein Prinzip, das Saurenbach immer noch besser findet, als Bedürftige abzuweisen. "Es ist schwierig, Leuten sagen zu müssen, dass sie nicht kommen dürfen."

Wenngleich die Situation der Tafeln allgemein schwierig ist, vor allem in den neuen Bundesländern und im Ruhrgebiet, so kann er nicht die Entscheidung einiger Tafeln, einen Aufnahmestopp zu verhängen, nicht nachzuvollziehen. "Wir haben keinen Aufnahmestopp und wir werden auch keinen machen", versichert er und zeigt sich erneut sehr dankbar ob der großen Spendenbereitschaft. Auch bei der Aktion "Ein Lebensmittel mehr", bei der Menschen gebeten werden, ein Lebensmittel mehr zu kaufen und dieses der Tafel zu spenden, sei die Resonanz groß gewesen. "Zusammengekommen sind über 200 Kisten mit Lebensmitteln", freut sich Saurenbach. Bei dieser Aktion habe die Tafel 2022 sogar mehr Lebensmittel erhalten als in den Jahren zuvor. Ausgegeben wurden im abgelaufenen Jahr insgesamt 350 Tonnen Lebensmittel, 250 Tonnen davon stammten von Lebensmittelmärkten, 100 Tonnen wurden dank Spenden finanziert. Saurenbach muss nicht lange überlegen, was sein Tafel-Wunsch für 2023 ist: "Dass es nach dem absoluten Ausnahmejahr 2022 ein bisschen ruhiger wird."

Hintergrund:

Zahlen zur Amberger Tafel

  • Tafel-Kunden zum 31. Dezember: 1150 Haushalte mit 1696 Erwachsenen und 1171 Kindern; darunter sind auch 573 ukrainische Haushalte (866 Erwachsene; 512 Kinder) sowie Geflüchtete aus Ländern wie Syrien und Irak (226 Haushalte mit 387 Erwachsenen und 559 Kindern)
  • Ausgegebene Lebensmittel im Jahr 2022: circa 350 Tonnen, davon 250 Tonnen, die Lebensmittelmärkte abgegeben haben, und 100 Tonnen, die die Tafel mit Spendengeldern gekauft hat
  • Zahl der Mitarbeiter: Für die Amberger Tafel engagieren sich derzeit 85 Menschen, der Altersdurchschnitt liegt bei 67 Jahren
Amberger Tafel
Fleißige Helfer laden die Lebensmittel aus, die sie bei den Märkten in der Region abgeholt haben. Insgesamt engagieren sich für die Amberger Tafel 85 Menschen.
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