Dienstagnachmittag, gegenüber der Kräuterwiese in Amberg. Vor der Tafel wartet an diesem frühlingshaften Tag eine Traube Menschen. Auf der rechten Seite stehen diejenigen, die schon länger Lebensmittel von der Einrichtung beziehen und sich wie an jedem anderen regulären Ausgabetag hier anstellen. Auf der linken Seite stehen jene, die wegen des Kriegs in der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind, jetzt in Amberg oder im Landkreis leben und sich als Neukunden registrieren lassen wollen.
In der Tür steht Irmgard Buschhausen, stellvertretende Tafelvorsitzende. Sie managt den Einlass, achtet darauf, dass nicht zu viele Leute gleichzeitig drinnen sind. Und beruhigt jene, die angesichts der längeren Zeit ungeduldig werden. Oder mahnt das Abstandhalten an. Sie trägt einen Schal in Blau und Gelb, den ukrainischen Nationalfarben. Nicht nur ihn hat sie selbst gestrickt, sondern auch noch kleine Flaggen für die ehrenamtlichen Helfer. Irmgard Buschhausen nennt es ihren "stillen Protest, gegen diesen verflixten Krieg". Soeben hat sie Spielzeug an ein mit der Mutter vor den Kämpfen geflüchtetes Kind ausgegeben. Nicht viel. Nur ein Puzzle, ein bisschen Lego. Die Zwölfjährige habe gezittert und geweint, sagt Buschhausen. "Das ist mir so nahegegangen."
Jeder, der an diesem Tag ins Büro der Tafel kommt, ist Teil des Exodus', der mit Russlands Angriff auf die Ukraine begonnen hat. Am großen Schreibtisch sitzen Tafel-Vorsitzender Bernhard Saurenbach und Erika Donderer, die seit 13 Jahren ehrenamtlich mithilft. Eigentlich sitzt sie vorne an der Kasse, doch jetzt legt sie mit Saurenbach im Akkord die Neukunden an, schreibt Namen und Geburtsdaten aus Pässen ab, erklärt das System der Abholung.
Gutscheine für Schuhe und Kleidung
Seit Februar läuft bei der Tafel eine Aktion mit Gutscheinen für Schuhe und Klamotten für Bestandskunden. Geplant gewesen wäre, diese Gutscheine bis 26. März an Bestandskunden auszugeben. "Doch dann kam uns Putin dazwischen", sagt Saurenbach. Jetzt erhält auch jeder Geflüchtete gegen Vorlage seines Passes zwei Gutscheine zu je 50 Euro: einen für Schuhe, einen für Klamotten.
Bislang ausgegeben wurden 825 Gutscheine für Kleidung und 930 für Schuhe. Wert: circa 100.000 Euro. Das Geld stammt aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen der vergangenen Jahre, erklärt Saurenbach. Von den ukrainischen Flüchtlingen, die in Amberg oder im Landkreis leben, haben sich bisher 80 Haushalte (rund 250 Personen) registrieren lassen, um künftig Lebensmittel von der Tafel beziehen zu können. Der starke Anstieg an Neukunden ist für die Tafel eine Herausforderung. "Das Problem ist, dass wir viel zu viel Leute haben und immer weniger Lebensmittel von den Märkten bekommen", schildert der Tafel-Chef das Dilemma. Der Rückgang bei dem Lebensmitteln "ist seit Monaten unser Problem".
Niemand wird abgewiesen
Abgewiesen wird trotzdem niemand. Dennoch: Weniger Lebensmittel müssen auf mehr Personen verteilt werden. Auch dafür hat Saurenbach eine Lösung parat, die greifen wird, wenn die Anzahl von Beziehern von Lebensmitteln in den nächsten zwei, drei Wochen stark zunimmt. "Bislang konnte jeder innerhalb von vier Wochen acht mal kommen, dann wären es nur noch fünf mal." So würde sichergestellt, dass jeder Lebensmittel bekäme.
Vor Saurenbach und Donderer steht gerade eine Ukrainerin mit ihrer jugendlichen Tochter. Ob sie nur die Gutscheine wollen oder künftig auch Lebensmittel, fragt Saurenbach auf Englisch. "Voucher and food", antwortet die Mutter. Also beides. Mit Gutscheinen und Bezugskarte für die Tafel verlassen die beiden die Tafel. Irmgard Buschhausen lotst die nächsten Hilfsbedürftigen ins Büro. "Die Leute warten draußen seit zwei Stunden", erklärt sie. So mancher bittet deshalb im Büro um einen Schluck Wasser. Allerhöchstens zwei bis drei Neuanmeldungen pro Ausgabetag seien es vor dem Ukraine-Krieg gewesen, sagt Buschhausen. "Manchmal hat sich auch niemand neu registrieren lassen."
"Auch das kriegen wir hin"
Die Amberger Tafel hat schon einmal eine Flüchtlingskrise bewältigt. 2015 war das. Erika Donderer erklärt den Unterschied zu heute: "Da sind nicht alle auf einmal gekommen, sondern nacheinander. Jetzt kommen alle auf einen Schlag, da haben wir schon zu kämpfen." Dennoch ist die freiwillige Helferin, die seit drei Wochen wegen der hohen Zahl an Neuanmeldungen Extra-Schichten einlegt, zuversichtlich: "Aber auch das kriegen wir wieder hin."
Wie alle Ehrenamtlichen tragen auch Saurenbach und Donderer die kleinen, von Buschhausen gestrickten ukrainischen Flaggen. Der Tafel-Chef erzählt, dass seine Familie eine besondere Beziehung zur Ukraine hat. Sein Sohn arbeitete sechs Jahre in Kiew, seine Tochter leistete ein Jahr lang einen freiwilligen Dienst in einem Kinderheim in Cherson.
Ins Büro kommt wieder eine Familie, um sich registrieren zu lassen: Mama, Papa und ein Kind. Erika Donderer stutzt, schließlich ist der Mann im wehrfähigen Alter. Warum er hier ist, wo doch die Männer nicht ausreisen dürfen. Die Frau antwortet, ihr Ehemann ist Aserbaidschaner und hatte eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis in der Ukraine. "Aha", sagt Erika Donderer und notiert mit einem dicken schwarzen Filzstift auf dem Kundenbogen: 2E, 1K. Heißt: Mit dieser ausgegebenen Karte beziehen zwei Erwachsene und ein Kind künftig Lebensmittel. Andere Ukrainer wiederum holen sich nur Gutscheine ab. Das sind diejenigen, die in Gemeinschaftsunterkünften sind und dort auch verpflegt werden.
Das Problem, einerseits weniger Lebensmittel zu bekommen, andererseits angesichts der großen Zahl an Flüchtlingen viele Neuaufnahmen zu haben, haben alle Tafeln in Deutschland, weiß Saurenbach. "Das ist überall so", sagt er. Und auch die Tafeln merken, welche Lebensmittel gerade rar sind. Mehl zum Beispiel. "Davon haben wir noch eine halbe Palette da", sagt der Vorsitzende. Er hofft jetzt auf großzügige Lebensmittelspenden, wenn am Samstag im Kaufland in Amberg wieder die Aktion "Ein Teil mehr" zugunsten der Tafel läuft. "Ich hoffe auf 100 Kisten", sagt er und gibt schon die nächsten 50-Euro-Gutscheine für Schuhe und Klamotten aus.
Der Rückgang in Zahlen
- Vor zehn Jahren: 360 Tonnen gespendete Lebensmittel pro Jahr
- Heute: 200 Tonnen pro Jahr
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