Seit Anfang März ist der 35-jährige, gebürtige Lübecker in der evangelischen Kirchengemeinde Edelsfeld/Kürmreuth anzutreffen. Hier absolviert er bei Pfarrer Matthias Ahnert ein vierwöchiges Landpfarrer-Praktikum. Wie es zum Perspektivwechsel kam, erzählt er im Interview.
ONETZ: Herr Kauffmann, gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Bühne und Kanzel?
Matthias Kauffmann: Ja, auf jeden Fall! Beides ist Sinnsuche, aber die Antworten sind verschieden, die Haltung ist anders. Das Schöne am Glauben und der Religion ist, dass es Antworten gibt. Das Evangelium ist die Richtschnur, der Fixpunkt für die Sinnsuche. Bei der Kunst geht die Sinnsuche in die Breite, in alle Richtungen, mit allen Nöten.
ONETZ: Ihre erste Berufung galt dem Musiktheater. Was hat Sie daran so besonders fasziniert?
Matthias Kauffmann: Die Oper ist ein Ort der Emotionen. Da, wo Worte versagen, es geht nur um Emotion und Fühlen. Die Musik ist eine wichtige emotionale Ebene. Aber auch die Religion ist Gefühl.
ONETZ: Ihre Doktorarbeit trägt den Titel "Die Operette im Dritten Reich". Worum ging es dabei genau?
Matthias Kauffmann: Die Operette war das Musical unserer Großeltern. Es hat die Bedürfnisse der Leute bedient, die dafür bezahlt haben. Die Frage war, wie politisch war das damals, gab es Beeinflussung oder war das Theater ein politikfreier Raum. Goebbels wollte keine offene Propaganda, er wollte Verführung. Es war die Simulation von Politikfreiheit.
ONETZ: Ergaben sich dabei auch Parallelen zum aktuell erschreckenden Rechtsruck in der Gesellschaft?
Matthias Kauffmann: Geschichte kann sich immer wiederholen, wir können nur daraus lernen. Es gibt schon gewisse Überschneidungen zu den 1920er-Jahren. Wir empfinden wieder diese Gewitterschwüle. Heute hat das Musical die Rolle der Operette übernommen, aber wir haben keinen Richard Wagner, Richard Strauss, Bertolt Brecht, Thomas Mann. Uns fehlen die großen Künstler mit großen Innovationen. Wo sind die moralischen Instanzen? Das passt zu der Gewitterschwüle, wir sind eine Zwischengeneration, die irgendwas erwartet.
ONETZ: Was hat dann aber den Ausschlag gegeben, der Theologie als zweiter Berufung den Vorzug zu geben?
Matthias Kauffmann: Ich habe drei Jahre als Musikdramaturg am Stadttheater Gießen gearbeitet. Dabei habe ich mir die Frage gestellt, ob ich das die nächsten 30 Jahre weitermachen will. Ich war seit meinem 16. Lebensjahr in dieser Theater-Seifenblase und hatte das Gefühl, näher ans wahre Leben herankommen zu wollen, hinauszuschauen für ein erfülltes Leben. In meinem Glaubensleben habe ich immer schon Halt gefunden, meine Form des autogenen Trainings war die Spiritualität.
ONETZ: Was wird bleiben von Ihrer ersten Karriere, was werden Sie vermissen, was nehmen Sie mit in Ihren zweiten Beruf?
Matthias Kauffmann: Toleranz und Liberalität sind mir wichtig. Das Theater war eine Schule der Toleranz – eine bunte Blumenwiese, die auch Ausdruck von Göttlichkeit ist. Ich werde die Toleranz mitnehmen und den Bekenntnismut. Vermissen werde ich das bunte, individuelle Künstlervolk. Aber ich verbinde damit auch die Hoffnung, das Künstlervolk für Glauben und Spiritualität begeistern zu können. Etwa mit einer Kulturkirche, wie es sie beispielsweise in München gibt. Mit dem Pfarrer als Dramaturg Gottes.
ONETZ: Und wie verschlägt es einen Lübecker eigentlich mitten in die Oberpfalz?
Matthias Kauffmann: Ich liebe die Ostsee, bin aber auch leidenschaftlicher Wanderer. Wenn ich nicht gerade einen der vielen Jakobswege erwandere, brauche ich Hügel oder Berge. Und die Bayreuther Festspiele sind ja auch in der Nähe. Ich habe mir die Oberpfalz aber nicht aussuchen können – ich wurde dem namhaften Ausbilder Pfarrer Matthias Ahnert für mein Landpfarrer-Praktikum zugeteilt.
ONETZ: Was wünschen Sie sich für Ihre Zeit in der evangelischen Gemeinde Edelsfeld/Kürmreuth?
Matthias Kauffmann: Ich möchte in diesen vier Wochen möglichst viele Menschen mit ihren unterschiedlichen Lebensentwürfen, in allen Höhen und Tiefen kennengelernt haben. Ich freue mich, als „lebender Schatten“ von Pfarrer Ahnert Vertrauen geschenkt zu bekommen. Als Theatermensch war ich ein Macher, jetzt will ich lernen, Empfangender zu sein.
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