32 Meter Kunst- und Naturerlebnis: Flossenbürg lockt mit begehbarer Skulptur

Flossenbürg
21.05.2021 - 17:25 Uhr
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"Die Sichtung" steht. Die 32 Meter hohe Skulptur am Ortsrand von Flossenbürg ist ab 1. Juni für die Öffentlichkeit zugänglich. Ein prominenter Besucher hat sie aber schon vorher mal erkundet, auf sehr spezielle Weise.

Unübersehbar, wenn auch umringt von hohen Bäumen: Die Sichtung zieht alle Blicke auf sich.

Fährt man die Wurmsteinstraße in Flossenbürg bis zum Ende, zieht er sofort alle Augen auf sich. Man will diesen 32 Meter hohen Stahlriesen mit Korrosionsmuster "Turm" nennen, wie er so aufragt zwischen dem ehemaligen Verwaltungsgebäude des KZ-Steinbruchs und dem dahinter liegenden Waldstück. Doch das gefällt seinen Schöpfern gar nicht. Hat man die begehbare Skulptur erst mal betreten, wird schnell klar, was sie damit meinen.

Ein Turm ist etwas Statisches, Funktionales. "Die Sichtung" nennt sich dagegen Raum- und Klangskulptur. Je nachdem, wie weit man sie besteigt, dem Sound der eigenen Schritte folgt, einen Blick nach draußen wirft, die Wände berührt und sich bis zur Spitze vorarbeitet, stimuliert sie Empfindungen.

Ein Video von August Zirner als Flötist

Das wollen die Architektin Hildegard Rasthofer und Metallbauer Christian Neumaier. Das Ehepaar aus Oberbayern stellt die Sichtung an verschiedenen Orten auf und lotet die Wechselwirkung mit der Umgebung aus. "Ich bin begeistert, es ist das erste Mal, das wir damit umgeben von Natur sind", sagt Rasthofer am Freitag über Flossenbürg, nachdem die "Sichtung" vorher an zwei Tagen installiert und technisch abgenommen wurde.

"Museum fast ein Kunstwerk"

Kaum war die Skulptur fertig, zog sie August Zirner in ihren Bann. Der Schauspieler stand bis Donnerstag in der Region in der Rolle eines undurchsichtigen Kommissars beim Dreh des Kino-Thrillers "Schweigend steht der Wald" vor der Kamera. Der 65-Jährige hat jüdische Wurzeln und sich am Rande der Arbeit auch in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg umgesehen. Schließlich hat auch seine Filmfigur Verstrickungen in der NS-Zeit.

"Ich war überwältigt vom Museum, das ist fast ein Kunstwerk und zugleich so informativ", lobt er die Arbeit von Jörg Skriebeleit und seiner Mitarbeiter. Dabei bekam Zirner auch mit, dass um die Ecke gerade die "Sichtung" als neue Ausstellung der Gedenkstätte in die Höhe wächst. "Ich hab mir gedacht, ich bedanke mich für den warmen Empfang und spendiere dort ein paar Töne."

Deutliche Worte über Kollegen

Also kam Zirner wieder und brachte seine Querflöte mit. Etwa auf halber Höhe des Solitärs spielte er Auszüge aus der 4. Symphonie des österreichischen Komponisten Franz Schmidt und der Kaddish-Symphonie von Leonard Bernstein. Innen getragen-traurige Musik, außen rumpelnde Bagger und zwitschernde Vögel - ein Sichtungserlebnis der besonderen Art.

Für die Umstehenden bringt es die Erkenntnis, dass der Leinwandpromi ein mehr als passabler Musiker ist, auch wenn der dies weit von sich weist. "Ich habe keine Ahnung von deutscher Grammatik und spiele Schiller und Lessing. Ich habe keine Ahnung von Harmonielehre und spiele Kirchentonleitern."

Doch Zirner kann nicht nur bescheiden, sondern auch deutlich, wenn er das Gespräch auf "#allesdichtmachen" bringt, jene Aktion im Netz, mit der sich bekannte Schauspieler über die Coronapolitik beklagten. "Eitelkeit stirbt zuletzt. 80 Prozent derjenigen, die da mitgemacht haben, waren eitel. So etwas schädigt den Berufsstand." Die Arbeit in der Oberpfalz mit vielen Außenaufnahmen wird er als kalt in Erinnerung behalten. Wobei er größere Herausforderungen kennt. "Ich hab auch schon mal bei 20 Grad unter Null gedreht."

Bis Ende August und eventuell noch drei Monate länger spielt nun die "Sichtung" eine Hauptrolle in Flossenbürg. Ihre ersten Auftritte finden Beifall, erklärt Elisabeth Maier, die PR für die Skulptur betreibt. "Die Ersten, die kamen, sind damit umgegangen als wäre sie schon immer da. Wenn sie wieder runterkamen, haben sie alle gelächelt." Das muss nicht so bleiben. In Unterammergau, sozusagen der Basistation der "Sichtung" ist das Kunstwerk nicht nur beliebt. Doch wer es nicht mag, kann sich trösten. Es verschwindet wieder.

Eröffnet wird das begehbare Erlebnis am 1. Juni. Interessierte können sich ab Ende nächster Woche im Internet ein Zeitfenster für einen Besuch buchen. Es verspricht Blicke auf die Gemeinde und weiter bis in den Steinwald, zum Rauhen Kulm, zum Gaisweiher, zum Parkstein. Nicht zur KZ-Gedenkstätte, die nur um die Ecke liegt. "Das war anfangs fast eine Enttäuschung, aber inzwischen sehe ich das anders. Die Gedenkstätte ist ja im Bewusstsein der Besucher immer da und das macht was mit den Menschen", sagt Skriebeleit. Denn darum geht es ihm auch bei der "Sichtung": Er will Kontexte verändern, Flossenbürg nicht nur in einem Atemzug mit KZ und Granit hören.

Für August Zirner ist die "Sichtung" dazu ein Ausrufezeichen. "Sie strahlt fast so wie die Burg." Der Mann mag keine Ahnung von Marketing haben, aber solche Sätze klingen aus seinem Munde so bedeutungsvoll wie Schiller, Lessing oder Bernstein.

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Flossenbürg27.04.2021
Die Raum- und Klangskulptur "Sichtung" macht etwas mit dem Menschen. Im Falle von August Zirner entlockt der Genius Loci, der Geist des Ortes, dem Schauspieler traurig-schöne Töne aus seiner Querflöte.
Hildegard Rasthofer und ihr Mann Christian Neumaier haben die Sichtung entworfen und gebaut.
Mit der Burg Flossenbürg auf Augenhöhe. Auch das macht die "Sichtung" möglich.
Hintergrund:

Die Skulptur in Zahlen

  • Höhe 32 Meter, 156 Stufen
  • Gewicht 70,4 Tonnen; 13 Kuben à 4,8 Tonnen
  • Grundriss 2,4 mal 2,4 Meter
 
 

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