"Ein bisschen mehr Millowitsch." Die Ansage von Christian A. Schnell ist knapp. Jens Ulrich Seffen nimmt sie aber perfekt auf. In der Wiederholung der Szene klingt sein Schwejk schon satter, schlitzohriger mit mehr Substanz. Der nächste Schritt ist getan.
Zwar fehlt es der Figur des berühmten tschechischen Lebenskünstlers Schwejk noch etwas an Dialektfärbung – natürlich böhmisch statt dem Kölsch des Volksschauspielers Willy Millowitsch. Aber schließlich ist es eine frühe Leseprobe auf der Testbühne des Landestheaters Oberpfalz (LTO) in Vohenstrauß. Und für Schnell, den neuen künstlerischen Leiter des LTO, eine der ersten überhaupt.
Für Schnell fühlt sich der Beginn des Probenzyklus für "Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk" schon fast wie ein Heimspiel an. "Mit den Proben bin ich endgültig angekommen", sagt er. Und das wichtigste: "Ich bin jetzt Vohenstraußer. In gut 15 Minuten bin ich von zu Hause aus überall direkt vor Ort." In seinem Büro, auf den Bühnen der Burg Leuchtenberg und der Friedrichsburg oder an den Spielorten in Weiden. Oder wie nun auf der Probenbühne des LTO.
Über diese ungewohnt kleinen Wege freut sich der Berliner sehr: "Es erleichtert einfach vieles." Von einem "soften" Start in seine neue Funktion am Landestheater kann Schnell aber dennoch nicht sprechen. Im Sommerspielplan, den Vorgänger Till Rickelt noch konzipiert hat, war Schnell eigentlich nur mit der Tragödie "Jedermann" als seine Premieren-Produktion vorgesehen. Eine Inszenierung, mit der er auch Eindrücke von einer der Hauptbühnen des LTO, vom Ensemble und den anderen Bereichen des professionellen Leuchtenberger Theaterbetriebs gewinnen wollte.
Zwei Regiearbeiten gleichzeitig
Doch es kommt anders. "Der Regisseur, der für den Schwejk vorgesehen war, ist erkrankt. Und da bin ich eingesprungen." Ein harter Einstieg in seine neue Aufgabe. Schnell ist mit nun zwei parallelen Regiearbeiten, die beide im Juni Premiere haben werden, gut beschäftigt. Und gerade der Schwejk hat so seine Besonderheiten. "Hier habe ich eine eigene Form des Stücks gefunden. 9 Leute spielen fast 30 Rollen. Und wenn ein Darsteller 8 Figuren verkörpert, müssen wir deren Charakterzüge genau herausarbeiten", erläutert der Regisseur. Die Idealvorstellung: "Es wäre sehr schön, wenn der Zuschauer in den hinteren Reihen am einen oder anderen Punkt gar nicht mitbekommt, dass es wieder der gleiche Schauspieler ist." Auch beim Jedermann habe er eine besondere Bearbeitung gewählt.
Die Bühne hat für ihn erst einmal Vorrang: "Außerdem geht es darum, alles kennenzulernen." Nach dem Sommer werde man sich zusammensetzen und die weitere Entwicklung von Deutschlands jüngstem Landestheater besprechen. Erste Veränderungen stehen aber bereits an. "Als ein bayerisches Landestheater werden wir uns weiter professionalisieren. Wir arbeiten etwa gerade an einer anderen Rechtsform." In seine Vorstellung von der Zukunft des LTO erlaubt er trotzdem schon erste Einblicke.
Womit wir wieder bei Willy Millowitsch und Jens Ulrich Seffen wären. Unbeabsichtigt passt die Regieanweisung bei den Proben auch zur künftigen Strategie des Landestheaters. Denn wie kaum ein anderer stand Millowitsch als mächtige Identifikationsfigur für sein Theater. So wie das eigene Akklimatisieren in der Oberpfälzer Theatergemeinschaft für Schnell wichtig ist, will er auch eine tiefere Verankerung des LTO und seiner Darsteller in Leuchtenberg, Vohenstrauß und Weiden erreichen. "In der Markenbildung ist Luft nach oben."
Ziel sei etwa, dass die LTO-Darsteller beim Einkauf beim Bäcker erkannt werden. Dazu gehören laut Schnell neben dem festen Ensemble auch "ständige Gäste" wie Seffen, der aus Serien wie "Soko Wien" oder "Balko" bekannt ist. Oder der Berliner Sebastian Hölz ("Großstadtrevier", "Notruf Hafenkante"), der die Hauptrolle beim "Jedermann" übernimmt. Mit regelmäßigen Rollen sollen auch sie zu Gesichtern des Theaters werden und eine Beziehung zum Publikum aufbauen.
Näher ans Publikum
"Es ist ein Wunsch, dass Zuschauer, die sich ein Musical bei uns ansehen, vielleicht auch in ein zeitgenössisches oder klassisches Stück gehen, auch wenn das eigentlich nicht ihr Genre ist. Eben weil sie uns vertrauen", beschreibt Schnell die beabsichtigte engere Bindung zwischen dem LTO und seinen Zuschauern. Dies sei ein Vorteil der regionalen gegenüber einer großstädtischen Theaterszene, in der so etwas kaum möglich ist. "Das Publikum muss dafür offen sein." Die Breite im Angebot - eine Stärke des LTO - werde indes eher noch wachsen. "Volksstücke in Mundart, klassische und moderne Dramen und Komödien stehen weiter auf dem Spielplan. Auch Uraufführungen und Auftragsarbeiten", so Schnell. "Dazu zwei Musicals pro Jahr sowie viele Kinder- und Jugendstücke."
Amberg, Berching, Cham
Das Theater "aus der Oberpfalz für die Oberpfalz" soll zudem weitere Spielorte finden, auch über den Bezirk hinaus. "Vieles ist möglich. Amberg, Berching, Cham – wir haben da einige Orte im Blick. Es wird auch 'Ausrutscher' etwa ins Fränkische geben." Besonders freue man sich auf die "Sünde", das ehemalige Weidener Ring-Kino, als neuen Hauptspielort der Winterbühne.
Eine starke Verwurzelung bei den Menschen in der Region, aber auch mit überregionaler Strahlkraft, beschreibt Schnell seine Vision für das Landestheater. Und da ist dann noch etwas. Schnell wird für einen Moment fast träumerisch: "Und vielleicht kann ich meinem Nachfolger sogar eine eigene feste LTO-Spielstätte hinterlassen." Das wäre dann viel mehr als nur ein "bisschen Millowitsch".
Christian A. Schnell
- ist Berliner
- seit 2023 künstlerischer Leiter am Landestheater Oberpfalz.
- 20 Jahre lang Intendant deutscher Landes-, Stadt- und Privattheater in Berlin, Sachsen-Anhalt, NRW, Brandenburg und Bayern.
- Intendant und Produzent von Sommerfestspielen und Festivals (u.a. Altmühlsee-Festspiele und Jedermann- Festspiele Potsdam).
- Insgesamt zuständig für fast 100 Inszenierungen aller Genres in Berlin, Köln, Potsdam, Dinslaken, Landshut, Passau, Wolfsburg, darunter Ur- und Erstaufführungen. Außerdem Produzent von deutschlandweiten Tourneeproduktionen.
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