David Berendes ist ein Lebensretter. Er hat 2017 seine Stammzellen an einen Leukämiekranken gespendet. Nach gesetzlicher Wartezeit, Corona-Pandemie und Reisebeschränkungen war es heuer endlich soweit und der Neukirchener konnte seinen genetischen Zwilling besuchen. Der lebt nahezu exakt auf dem gleichen Breitengrad wie Neukirchen – allerdings gut 8250 Kilometer entfernt in Kanada.
„Es begann, indem ich 2015 an einer Typisierungsaktion der DKMS in Eschenfelden teilnahm“, berichtet der 28-jährige Straßenwärter. Ziemlich genau ein Jahr später erhielt er einen Brief, dass es eventuell eine Übereinstimmung gibt. Es wurde Blut abgenommen und zwei Wochen später war klar: „Ja, es passt.“ Gleich dazu kam die Anfrage, ob David Berendes wirklich bereit ist, Stammzellen zu spenden. „Ich dachte mir: Na klar. Wozu sonst hätte ich mich typisieren lassen.“
Inzwischen stand Weihnachten vor der Tür, es folgte eine gründliche Untersuchung. „Es gibt 15 Orte in Deutschland, wo Stammzellen entnommen werden. Ich habe mich für Würzburg entschieden. Es lag am nächsten“, erzählt Berendes. Im Januar konkretisierte sich der Termin für die Spende. „Man wird fünf Tage vorher angerufen, ob man fit ist, damit man aus seinem eventuell erkrankten Körper nichts an den ohnehin schon geschwächten Körper des Erkrankten unfreiwillig weitergibt“, erklärt Berendes.
Lage wird dramatisch
Der sehnlichst auf die Spende wartende Kanadier hing inzwischen an einem Beatmungsgerät – und sein Leben am seidenen Faden. Der Termin für die Stammzellenspende musste aber verschoben werden, denn der Leukämiekranke hatte sich einen Infekt eingefangen. Ein neuer Termin wurde festgesetzt, der 20. Januar. Jetzt hatte sich jedoch David Berendes erkältet. Die Lage dramatisierte sich zunehmend. Neuer Termin war schließlich der 1. Februar 2017.
Das Päckchen mit den G-CSF Spritzen, die man sich einige Tage vor der Blutabnahme injizieren muss, war inzwischen bei Berendes angekommen. Die Spritzen können die Spender, ähnlich wie bei Heparinspritzen, selbst Zuhause anwenden. Der Wirkstoff zieht die Stammzellen aus den Knochen heraus und transportiert sie in den Blutkreislauf, wo sie bei der Spende wieder herausgefiltert werden. „Das ist vielleicht das Schlimmste an der Sache: Man bekommt den Muskelkater seines Lebens. Auch an Stellen, von denen man nicht wusste, dass es dort Muskeln gibt. Aber auch das ist auszuhalten“, schildert Berendes.
„Ich weiß nicht, warum viele Leute sich nicht als Stammzellenspender zur Verfügung stellen wollen. Es ist wirklich nicht schlimm.“ Der begeisterte Schiedsrichter und regelmäßige Blutspender möchte Unentschlossenen mit seinen Erfahrungen Angst nehmen und sie motivieren. Für ihn war es am 1. Februar in Würzburg dann endlich soweit. „Die Stammzellenabnahme ist ganz einfach und erfolgt heute zu 80 Prozent über das Blut und eher in der Ausnahme aus dem Knochenmark. Ähnlich beim Blutspenden oder wie bei einer Dialyse. Man liegt da und merkt nichts“, erzählt der Neukirchener.
Bis zu diesem Punkt kennt der Spender immer noch keinen Namen, er weiß nicht, an wen oder wohin seine Stammzellen gehen. Seine einzigen Hinweise: er muss Zollpapiere unterschreiben, damit seine Stammzellen Europa verlassen dürfen. Zudem verrät ihm eine Ärztin in Würzburg, dass Stammzellen bei ihnen schon lange nicht mehr so eine weite Reise angetreten haben. Drei Wochen nach der Spende rief Berendes bei der DKMS an. Er erfuhr kurz und knapp: Es sehe sehr gut aus, die Spendenübertragung habe geklappt. Da Spender und Empfänger beide einem Kontakt zugestimmt hatten, war ein Austausch grundsätzlich möglich, das ist gesetzlich aber erst nach zwei Jahren erlaubt.
Ein Kanadier meldet sich
Im Fall von Berendes vergingen sogar fünf Jahre, dann meldete sich eines Tages ein Kanadier bei ihm, Steve Ledig. Jetzt endlich hatte der Empfänger für David Berendes einen Namen. Es wurden Handynummern und E-Mail-Adressen ausgetauscht, Fotos hin und her geschickt. Ganz schnell war auch eine Zusammenkunft geplant.
Schon zu Pfingsten dieses Jahres ging es für den Neukirchener, sein erster Flug überhaupt, dann nach Vancouver Island. „Auf dem Flughafen in Victoria wusste ich sofort, zu wem ich hinlaufen muss. Denn Steve und seine Frau Debby hielten ein Schild in die Höhe mit ,Herzlich willkommen’“, erinnert sich Berendes. Der 62-Jährige Ledig habe die Tränen kaum zurückhalten können. „Neben der Freude über die geglückte Stammzellenspende und das ersehnte Treffen waren es 13 Tage auf einer traumhaft schönen Insel, wo ich nach Strich und Faden verwöhnt wurde“, schwärmt Berendes von seiner Reise. „Es gibt dort alles. Strand, Wildnis, Berge, Mammutbäume.“
Whale Watching und Bier
Steve Ledig und seine Frau zeigten ihrem Gast Nationalparks, fuhren zum Whale-Watching, machten Wein- und Bierverkostungen und waren an Stränden. „Jeden zweiten Tag sind wir Essen gegangen. Fish und Chips, Steaks und viele andere Delikatessen.“ Wirklich überrascht hat Debby Ledig den Neukirchener aber mit der Ankündigung: „Heute gibt es Buckelwal mit Brokkoli und Curryreis.“ Damit hatte der 28-Jährige nicht gerechnet. „Es war aber ganz ausgezeichnet.“
Schwer fiel nach all diesen positiven Eindrücken der Abschied. Aber es soll bald ein Wiedersehen geben, denn mit Steve Ledig hat David Berendes nicht nur einen „Blutsbruder“, sondern, wie er sagt, auch einen „Seelenbruder“ gefunden.
Die DKMS
- Die DKMS (ehemals Deutsche Knochenmarkspenderdatei) ist eine internationale gemeinnützige Organisation
- Gegründet 1991 in Deutschland
- Ziel ist es, Stammzellenspender zu registrieren und weltweit an Blutkrebspatienten zu vermitteln
- Blutkrebs ist ein Sammelbegriff für bösartige Erkrankungen des blutbildenden Systems
- Stammzelltransplantationen sind oft die einzige Chance auf Heilung
- Bereits 1995 war die DKMS die weltweit größte Stammzellspenderdatei
- Heute mehr als 11,5 Millionen registrierte Spender
- Bereits mehr als 100 000 Stammzellspenden für Menschen in 57 Ländern vermittelt
(Quelle: www.dkms.de)
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