35 Jahre nach Tschernobyl: Wildschweine weiter belastet

Oberpfalz
01.06.2021 - 12:58 Uhr
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35 Jahre ist es her, dass in der damaligen Sowjetunion der Atomreaktor von Tschernobyl havarierte. Die Folgen sind auch in der Oberpfalz noch heute messbar.

Das Wildschwein ist erlegt, sein Fleisch darf aber erst nach einer Messung der Strahlenbelastung in den Verkehr gelangen.

Zum Jahrestag am 26. April erinnerte der Bayerische Jagdverband (BJV) in einer Pressemitteilung daran, dass es insbesondere in Bayern wenige Tage nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl zu radioaktiven Niederschlägen kam. Bis heute seien Wildschweine in den betroffenen Regionen, zu denen auch der Bayerische Wald sowie Teile von Oberfranken und der Oberpfalz zählten, teilweise "verstrahlt".

Im Muskel gespeichert

Das liegt an der Lebensweise des Schwarzwilds: Die Schweine wühlen im Boden nach Wurzeln, Würmern, Engerlingen, Mäusen, Schnecken und Pilzen. Letztere jedoch speichern Cäsium-137, ein radioaktives Isotop des Metalls Cäsium. Dieses Isotop entsteht zum Beispiel bei der Kernspaltung in Atomreaktoren und wurde beim Reaktorunfall von Tschernobyl massenhaft in die Atmosphäre freigesetzt. Wird Cäsium über die Nahrung aufgenommen, speichert der Körper es im Muskelgewebe.

Wie jedes radioaktive Isotop hat auch Cäsium-137 eine sogenannte Halbwertszeit: Das ist die Zeitspanne, in der die Menge und damit auch die Aktivität eines Radionuklids durch Zerfall auf die Hälfte gesunken ist. Im Falle von Cäsium-137 dauert das gut 30 Jahre - 2016 war also noch immer die Hälfte der ursprünglichen radioaktiven Belastung vorhanden. Jetzt, fünf Jahre später, hat sich an den Werten nur wenig geändert.

Grenzwert einhalten

Genau deshalb gibt es auch heute noch keine generelle "Entwarnung" für den Genuss von Wildschwein aus heimischen Wäldern. Erlegte Tiere müssen auf ihre radioaktive Belastung untersucht werden, bevor ihr Fleisch in Umlauf kommt. Der Grenzwert für die Strahlungsmenge liegt bei 600 Becquerel pro Kilogramm. Lebensmittel, die höhere Werte aufweisen, dürfen nicht in den Verkauf gelangen. "Es ist wichtig, dass kein verstrahltes Tier verzehrt wird", sagt Philipp Bahnmüller, der Leiter des Forstbetriebs Schnaittenbach der Bayerischen Staatsforsten, wo eine eigene Messstelle eingerichtet ist. Man nehme im Revier jedes Jahr auch eine Stichprobe für Rehe vor. "Aber ein verstrahltes Reh hatten wir noch nie, vermutlich eben deshalb, weil Rehe nichts aus dem Boden fressen", erklärt der Förster.

In der 90er-Jahren hat der BJV mit dem Aufbau eines flächendeckenden Netzes an Radiocäsium-Messstationen begonnen. Mittlerweile gibt es in Bayern 124 und damit das dichteste Netz in ganz Deutschland. Hans Lehner von der BJV-Kreisgruppe Weiden-Neustadt betont: Jedes Wildschwein, das in den Verkehr gebracht werden soll, werde auf Strahlung gemessen. "Liegt die Belastung über dem Grenzwert, kommt das Wild in die Tierkörperbeseitigungsanstalt." Der Jäger erhalte dann eine finanzielle Entschädigung. Für die Bestimmung der radioaktiven Belastung werden 500 Gramm Muskelfleisch des erlegten Tieres verwendet. "Das Messgerät muss jährlich kalibriert und neu zertifiziert werden", betont Lehner. Manche Besitzer großer Reviere hätten eine eigene Messstation, ansonsten übernehme der BJV diesen Service für seine Mitglieder.

Verdächtiger Hirschtrüffel

Wie "verstrahlt" ein Schwein ist, hänge stark von der Jahreszeit ab, sagt der Jäger. "Wenn die Wildschweine zum Beispiel Mais fressen, passiert nichts." Vor allem der unterirdisch wachsende Hirschtrüffel stehe im Verdacht, für die Strahlenbelastung des Schwarzwilds verantwortlich zu sein. Aber auch andere Pilze, wie etwa der Maronenröhrling, sind stellenweise noch immer stark belastet, schreibt das Bundesamt für Strahlenschutz. Die Kontamination sei sowohl vom Cäsium-137-Gehalt in der Umgebung des Pilzgeflechts als auch vom speziellen Anreicherungsvermögen der jeweiligen Pilzart abhängig. Hans Lehner meint dazu: "Bei den Pilzen kümmert es irgendwie keinen, wie hoch die Belastung ist." Förster Bahnmüller sagt: "Die Dosis macht das Gift." Es sei unwahrscheinlich, so viele selbst gesammelte Pilze zu verzehren, dass gesundheitsgefährdende Strahlungswerte erreicht würden.

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Tirschenreuth21.05.2021
Hintergrund:

Cäsium-137 in der Nahrung

Das Bundesamt für Strahlenschutz schreibt auf seiner Webseite unter anderem:

  • Der Verzehr von 200 Gramm Pilzen mit 3000 Becquerel Cäsium-137 pro Kilogramm hat eine Belastung von 0,008 Millisievert zur Folge. Dies entspricht der Strahlenbelastung bei einem Flug von Frankfurt nach Gran Canaria.
  • In stärker belasteten Gebieten werden bei Wildschweinen noch heute vereinzelt Werte gemessen, die den Grenzwert für die Vermarktung von 600 Becquerel pro Kilogramm um mehr als das Zehnfache überschreiten.
 
 

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