Der AdBlue-Mangel war vermeidbar

Schwandorf
12.11.2021 - 15:45 Uhr
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Der Kraftstoffzusatz AdBlue geht zur Neige. Busse und Lastwagen müssten dann stehen bleiben, die Folgen wären besonders im ländlichen Raum zu spüren. Die Verantwortung dafür liegt anderswo, meint Redakteur Julian Seiferth

Kommentar von Julian Seiferth
AdBlue ist eine Mischung aus Wasser und synthetischem Harnstoff, die bei Dieselfahrzeugen mit SCR-Kat in den Abgasstrang eingespritzt wird. Dies dient dazu, Stickoxide in Wasserdampf und Stickstoff umzuwandeln. Foto: Marijan Murat/dpa

Leere Regale, Kinder im erzwungenen Homeoffice – nichts Neues nach den vergangenen eineinhalb Jahren. Während man die Verantwortung für die Problematik der jüngeren Vergangenheit einer Pandemie zu- und damit zum größten Teil außerhalb unser eigenen schieben kann, ist dieses von vorne bis hinten menschengemacht.

Was ist das Problem? Kurz gesagt: Es mangelt an einem Rohstoff, wie es momentan an so vielen mangelt. Daran ist sicher die russische Energiepolitik nicht ganz unschuldig. Doch was ermöglicht es Putin, den Gashahn nach Belieben auf- und abzudrehen? Deutschland ist bemerkenswert abhängig von den Launen des russischen Autokraten, der mit Nordstream 2 gerade auf den nächsten Trumpf zusteuert, mit dem er dem europäischen Energiemarkt zusetzen kann.

Die deutsche Gas- und Ölabhängigkeit hat aber noch eine andere Facette, eine, die besonders den ländlichen Regionen schadet: Der Schienenverkehr ist schon in und zwischen den Bevölkerungszentren im europäischen Vergleich lächerlich schwach auf der Brust, in der Provinz, beispielsweise im Landkreis Schwandorf, sogar noch schlechter. Das Schienennetz ist weder dicht noch elektrifiziert genug, um einen Flächenlandkreis wie den Schwandorfer in Gänze und unabhängig von Öl- und Gasvorräten zu versorgen. Dass Verkehrsminister Andreas Scheuer nun besorgt vor Engpässen warnt, wäre witzig, wenn es nicht so beunruhigend wäre. Der Ausbau einer halbwegs kompetenten Bahn-Infrastruktur ist eigentlich der Job, den er in den vergangenen vier Jahren zu erfüllen gehabt hätte.

Auch ausfallende Schulbusse dürften vor allem auf dem Land zum Problem werden. In München, Berlin und Stuttgart stehen elektrifizierte Straßen-, U- oder S-Bahnen als Alternativen bereit, hier nur die vielgeschmähten Elterntaxis. Das könnte zu ebenso interessanten wie verzweifelnden Szenarien führen: Gilt die Schulpflicht für Kinder, die tatsächlich keine Möglichkeit haben, die Schule zu erreichen? Was passiert dann – etwa erzwungener Distanzunterricht?

Die AdBlue-Knappheit ist das Ergebnis menschlichen Machtstrebens und Versagens, von Entscheidungen, die in Moskau, Berlin, Schwerin oder München getroffen werden. Treffen werden sie die Ärmsten, die, die sich lange Fahrten nicht oder kaum leisten können, die vor leeren Regalen im Supermarkt stehen – und denen, bei denen eine Fahrt ins nächstgelegene Bevölkerungszentrum einen halben Tagesausflug bedeutet.

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Schwandorf12.11.2021
 
 

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