Die hohen Spritpreise treffen viele Menschen hart. Speditions- und Busunternehmer, die davon leben, dass Ihre Fahrzeuge in Bewegung sind, stehen vor einem ganz anderen Problem: AdBlue, ein Kraftstoffzusatz, der vor allem in größeren Fahrzeugen eingesetzt wird, ist fast komplett vom Markt verschwunden. Der Grund ist derselbe wie bei anderen Kraftstoffen: Russlands Machtspiele mit dem Gashahn, sagen Quellen aus der Branche. Konkret bedeutet das in diesem Fall: Grundstoffe von AdBlue sind kaum bis nicht mehr verfügbar und entsprechend teuer.
"Wenn das so weitergeht, dann können wir unsere Verträge für den Winter nicht einhalten", sagt Markus Süß, Geschäftsführer des Mietservice Süß in Nabburg. Sein Unternehmen vermietet Maschinen und Fahrzeuge wie Gabelstapler oder Arbeitsbühnen an Kunden in ganz Europa – inklusive Anlieferung. "Kein Mieter will eine Maschine, die ihm nicht geliefert wird."
Und da liegt Süß’ Problem: Sein Logistikpark – allesamt Maschinen der Norm Euro 4 oder höher und damit abhängig von AdBlue – stehen, sobald der Kraftstoffzusatz ausgeht. Und das, stellt Süß klar, ist tatsächlich nur noch eine Frage der Zeit. "Wir haben bei mehreren Anbietern Bestellungen aufgegeben und stehen überall auf unbestimmte Zeit auf der Warteliste." Das Problem ist nicht nur ein terminliches, sondern auch ein finanzielles: Den Preis legt der Zulieferer fest, sobald wieder AdBlue verfügbar ist. Der Käufer muss dem Marktpreis dann folgen – und der wird aller Voraussicht nach verhältnismäßig happig ausfallen.
Es ist ein finanzielles Risiko, das Markus Süß eingeht, weil er es eingehen muss. "Sobald Ammoniak wieder auf den Markt kommt, müssen wir zugreifen – auch dann, wenn es teuer ist. Das ist besser, als keinen Treibstoff zu haben." Süß schätzt, dass die eigenen Vorräte vielleicht noch bis in den Januar reichen, dann werde es eng. "Als das Problem erstmals in Fachmedien diskutiert wurde, haben wir zugeschlagen. Bereits eine Woche später ging nichts mehr." Sollte im Januar buchstäblich der Saft ausgehen, sei man auf Spediteure angewiesen, um die Mietmaschinen auszuliefern.
Leere Supermarktregale wahrscheinlich
Doch die leiden unter dem selben Problem, sagt Richard Graf, Geschäftsführer der Graf Transport GmbH in Schwandorf. "Die Lage ist nicht rosig." Was Graf dann zeichnet, ist das Bild einer Branche, die sich von einer Krise nach der anderen buchstäblich überfahren fühlt. "Es ist nicht nur AdBlue. Wer soll denn in Zukunft fahren? Haben Sie mal in die Führerhäuser geschaut? Das sind alles Großväter. Wir haben keinen Nachwuchs", sagt Graf. Auch bei Fahrzeugen und Reifen gibt es Lieferschwierigkeiten, auch hier steigen die Preise. Abgesehen davon: Ja, es mangelt an AdBlue, seit Wochen gibt es keine Lieferung, die Preise sind Mitte der Woche mit 41, Ende der Woche bereits mit 67 Cent pro Liter angegeben. Zum Vergleich: Unter normalen Umständen zahlt Graf für den Liter 17 Cent. Geliefert wird sowieso nur noch in großen Mengen, wenn überhaupt.
Was passiert, wenn die Lastwagen stehen bleiben? Graf schnaubt. Leere Supermarktregale seien nicht nur möglich, sondern mehr als wahrscheinlich. Auch die Schiene – im ländlichen Raum sowieso infrastrukturell unfähig, den Bedarf zu decken – sei keine Alternative, nicht einmal jede fünfte Ware in Deutschland werde mit dem Zug transportiert. Wie lange das noch gut geht? Für sechs bis acht Wochen, sagt Graf. "Dann sind unsere Reserven aufgebraucht."
Schulbusse könnten ausfallen
Völlig unabhängig von der Pandemie könnte einigen Schülern in diesem Winter erneut Distanzunterricht drohen – nämlich dann, wenn eintritt, was Herbert Lang ankündigt, der das Busunternehmen Herbert führt. Auch er findet bei seinen Lieferanten schon länger kein AdBlue mehr, an den Tankstellen diktiere die Nachfrage den immer höheren Preis. Wenn auch denen der Kraftstoffzusatz ausgehe, seien die Folgen drastisch: "Dann stehen die meisten unserer Fahrzeuge."
Spätestens im Februar gingen ihm die Reserven aus, sagt Herbert Lang. Die Folgen wären drastisch: Nicht nur der sowieso schon gebeutelte Reiseverkehre bekäme ohne Kraftstoff den nächsten Schlag. Dem Schulbus-Netz droht im Winter der Zusammenbruch. "Das bedeutet für viele, dass ihre Kinder keine Möglichkeit mehr haben, in die Schule zukommen", erklärt Lang. Für viele Eltern bedeutet das noch mehr logistischen Stress. Lang schlägt bereits Alarm: "In den kommenden zwei bis drei Monaten muss etwas passieren. Lange können wir nicht mehr überbrücken."
Das ist AdBlue
- Moderne Dieselfahrzeuge verwenden AdBlue um den Ausstoß von Stickoxiden zu senken. Dazu wird ein im Auto eingebauter Katalysator zusammen mit AdBlue verwendet.
- AdBlue reagiert im Katalysator mit den Stickoxiden und wandelt sie in Wasserdampf sowie Stickstoff um. Das sorgt für bis zu 90 Prozent umweltfreundlichere Abgase.
- Falls Sie kein AdBlue mehr im dafür vorgesehenen Behälter haben, wird Ihr Auto in den meisten Fällen einfach nicht mehr weiterfahren. Dies liegt daran, dass die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Schadstoffgrenze sonst überschritten wird.
- AdBlue besteht zu 32,5 aus Harnstoff und zu 67,5 Prozent aus demineralisiertem Wasser. Die Flüssigkeit ist nicht giftig und weitestgehend geruchsfrei. (Quelle: FOCUS) (jus)
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