Das deutsche Wirtschaftswunder ist bei der Nachkriegsgeneration eng mit dem Namen Ludwig Erhard verbunden. Der "Mann mit der Zigarre" war 14 Jahre Wirtschaftsminister und drei Jahre Bundeskanzler. Die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann zeichnet in ihrem Buch "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen" ein völlig anderes Bild vom "Vater der sozialen Marktwirtschaft".
Die 56-jährige Autorin stellte ihr neues Buch am Donnerstag in der Buchhandlung Rupprecht vor. Sie nennt Ludwig Erhard einen "naiven Ökonomen", der vom NS-Regime profitiert habe und nach dem Krieg davon nichts mehr wissen wollte. "Es gibt keine vernünftige Biografie über Erhard", sagt Ulrike Herrmann, denn die Ludwig-Erhard-Stiftung verhindere die Aufarbeitung der Vergangenheit. Das will die Hamburger Wirtschaftsjournalistin nun in ihrem Buch nachholen.
Erhard habe mit dem Aufschwung nach dem Krieg überhaupt nichts zu tun, behauptet die Autorin. Den Erfolg schreibt sie den Amerikanern und vor allem Konrad Adenauer zu. Den ersten Kanzler der Republik nennt sie "den wichtigsten Wirtschaftspolitiker, den Deutschland je hatte". Dabei sei Adenauer gar kein Ökonom gewesen, sondern habe die Wirtschaft unter das Primat der Politik gestellt. Die Anbindung Deutschlands an Westeuropa und die Integration in die europäische Zahlungsunion seien seine Ziele gewesen.
Warum wird Ludwig Erhard aber bis heute gefeiert? "Er war ein genialer PR-Mann", erklärt Ulrike Herrmann. In großen Anzeigen, finanziert von der Industrie, habe er sich als den "Vater der sozialen Marktwirtschaft" feiern lassen. "Dabei war die Bundesrepublik nie sozial, sondern von Anfang an neoliberal", stellte die Autorin in ihrem Vortrag fest. Ihre Einschätzung: "Es ging nach dem Krieg genau so weiter wie vorher". Die Leute in den Großkonzernen, die schon unter den Nazis das Sagen hatten, bestimmten auch nachher die Geschicke der Wirtschaft. Strukturell und sozial habe sich in Deutschland nichts verändert.
Eine unrühmliche Rolle schreibt Ulrike Herrmann der Deutschen Bundesbank zu. Sie habe ihre Macht missbraucht und mit ihrer Politik der Geldwertstabilität "Millionen von Deutschen völlig sinnlos in die Arbeitslosigkeit" getrieben. Die Wiedervereinigung hält die Journalistin für einen "immensen Erfolg". Die Aufbauhilfe "Ost" habe zwar 2,5 Billionen gekostet, aber wie ein Konjunkturpaket gewirkt und sich selber finanziert.
Die gesetzliche Rente hält Ulrike Herrmann für ein Erfolgsmodell, das aber durch die Belastung mit versicherungsfremden Leistungen unter Druck geraten sei. Sie ist dafür, dass auch die Beamten und Bundestagsabgeordneten in die Rentenkasse einzahlen. Dann ließe sich die Altersversorgung auf das österreichische Niveau von durchschnittlich 1800 Euro monatlich steigern.
Bei den Sozialreformen hätten die Union und die SPD immer gemeinsame Sache gemacht, so die Einschätzung der gelernten Bankkauffrau. Als jüngstes Beispiel nennt sie Hartz IV, Leiharbeit und den Niedriglohnsektor.
Kommentare
Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.
Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.