Wenn Hunde vergiftete Köder fressen, ist der Aufschrei in der Öffentlichkeit zu Recht groß. Doch Haustiere sind nicht die einzigen Opfer hinterhältiger Anschläge. Jedes Jahr werden allein in Bayern fast 200 illegal getötete Wildvögel gemeldet - die tatsächliche Zahl dürfte allerdings weitaus höher liegen. Die Täter kommen meist ungeschoren davon. Damit soll endlich Schluss sein, wünscht sich der Landesbund für Vogelschutz (LBV) und stellte im April die neue Webseite "Tatort Natur" vor. Gemeinsam mit der "Gregor Louisoder Umweltstiftung" (GLUS) wollen die Naturschützer so Bürgern, Ermittlungsbeamten und Behörden Hilfe anbieten und aufzeigen, was bei einem Verdachtsfall zu tun ist.
Gift in der Landschaft
Erst kürzlich bestätigte sich der Verdacht, dass zwei bereits im Februar in der Nähe von Schwarzhofen tot aufgefundene Greifvögel Opfer einer gezielten Vergiftung wurden. Ein Mädchen hatte den Habicht und den Mäusebussard in einem Waldstück entdeckt und einen Bekannten alarmiert, der sich beim LBV engagiert. Glücklicherweise hatte das Kind die Kadaver nicht berührt. "Gift in die Landschaft zu bringen ist ein Skandal", sagt Zeno Bäumler, Leiter der LBV-Kreisgruppe Schwandorf. Er war es auch, der den Fall bei der Polizeiinspektion Neunburg anzeigte, sobald das toxikologische Gutachten vorlag. Denn "nur auf Verdacht" würden keine Ermittlungen eingeleitet, bedauert der Tierschützer. Trotzdem sollten tote Greifvögel stets gemeldet werden. "Es kann sein, dass der Giftköder noch in der Nähe liegt."
Dr. Andreas von Lindeiner ist Artenschutzexperte beim LBV in der Landesgeschäftsstelle Hilpoltstein. Er hofft, dass das Projekt "Tatort Natur" den Kampf gegen die Umweltkriminalität entscheidend voranbringt. Erste Erfolge gibt es bereits: Der Aufbau einer lückenlosen Meldekette scheint gut voranzukommen. "Wir hatten jetzt im Mai schon doppelt so viele Fälle wie im ganzen Vorjahr", sagt von Lindeiner. "Wir gehen dabei nicht davon aus, dass die Taten derart zugenommen haben. Es werden wohl nur mehr bekannt." Auch die Behörden seien besser eingebunden. "Der Transport der toten Vögel zum Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit läuft jetzt über die Veterinärämter", erklärt der Naturschützer. Zuvor musste der LBV in Eigenregie dafür sorgen, dass die Tiere die Labore in Erlangen und Oberschleißheim erreichten. "Dafür mussten wir die Vögel mehrfach einpacken und kühlen, bis wir sie irgendwann mit der Post verschicken konnten." Über die Veterinärämter laufe nun alles viel professioneller und einfacher ab.
Toxikologische Tests
Kommt das LGL zu keinem Ergebnis, nimmt die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München toxikologische Untersuchungen vor. "Erst vergangene Woche haben wir von der LMU sechs Befunde bekommen, davon waren fünf positiv", berichtet von Lindeiner. Meist komme Carbofuran zum Einsatz, ein Insektizid, das seit 2007 in der EU verboten ist. "Es gibt allerdings noch viele Altbestände und auch außerhalb der EU kann man Carbofuran noch kaufen", sagt der LBV-Experte. Er warnt: "Das ist kein Bagatellstoff, sondern ein hochgefährliches Kontaktgift." Gefährdet seien neben Aas fressenden Vögeln auch Hunde und Katzen. Doch selbst Kinder könnten eines Tages Opfer werden: "Wir haben einen toten Rotmilan nur 200 Meter entfernt von einem Kinderspielplatz gefunden. 2020 wurde ein rosa gefärbtes Ei gefunden, das vergiftet war. Wer Giftköder auslegt, die alle gefährden, der überschreitet eine Grenze. Das muss man ernst nehmen."
Dieser Beitrag befasste sich in der BR-Sendung "Quer" vom 22. April 2021 mit dem Thema
Aufsehen erregte dieses Jahr eine ganze Serie von tödlichen Anschlägen auf Greifvögel im Raum Straubing, Deggendorf und Dingolfing. Allein von Januar bis März waren elf tote Vögel, in der Mehrzahl Mäusebussarde, gefunden worden. Bereits Ende Februar richtete das Polizeipräsidium Niederbayern deshalb eine eigene Ermittlungsgruppe ein. Im März gab es eine groß angelegte Suchaktion nach ausgelegten Giftködern, verendeten Greifvögeln und sonstigen Spuren. Auch eine Drohne wurde genutzt.
Geld- und Haftstrafen
LBV-Experte von Lindeiner lobt den Einsatz, sagt allerdings: "Die Motivation ist da, das Wissen aber noch zu gering. Es muss noch Fortbildungen geben bei der Polizei." Für sinnvoll hält er die Ausbildung von Spürhunden, die gezielt Giftstoffe und Kadaver finden könnten. "Dann braucht man viel weniger Personal für solche Suchaktionen." Hilfreich wäre auch eine spezielle Umweltstaatsanwaltschaft, wie sie in Unterfranken gegründet worden sei. Von Lindeiner stellt klar: "Es handelt sich hier um eine echte schwere Straftat und nicht um eine Ordnungswidrigkeit." Die Täter riskierten Geldstrafen oder in Extremfällen bis zu fünf Jahre Haft.
In der mittleren und nördlichen Oberpfalz wurden in jüngster Vergangenheit unter anderem gemeldet: eine Falle mit Giftköder bei Schwarzenfeld (27. Dezember 2020), eine leere Falle mit Giftköder bei Schwandorf (10. Januar 2020) und der Abschuss eines Luchses im Steinwald (23. Oktober 2020). Auf der interaktiven Karte "Tatort Natur" sind außerdem der Abschuss eines Schwarzstorches im Landkreis Neustadt/WN (11. Juni 2019) sowie ein nicht näher bezeichneter Vorfall mit einem Seeadler bei Weiden (22. Januar 2019) vermerkt.
Wer aber hat überhaupt ein Interesse am Tod der Beutegreifer? Von Lindeiner hat mehrere Gruppen im Verdacht. "Die meisten Jäger mögen zwar Greifvögel, einzelne glauben aber, sie würden das Niederwild beeinträchtigen." Der Artenschutzexperte nennt diese Sorge völlig unbegründet. "Das ist so eine Mär. Wenn einer unserer heimischen Greifvögel bei einem toten Hasen angetroffen wird, dann nur als Aasfresser." Auch manche Geflügel- und Taubenzüchter, sagt von Lindeiner, sähen es gerne, wenn weniger Greife unterwegs wären. "Da muss man nur mal schauen, wie es in den Internetforen abgeht."
Mit Petition gescheitert
Tatsächlich haben der Verband Deutscher Brieftaubenzüchter, der Verband Deutscher Rassetaubenzüchter und der Verband Deutscher Geflügelzüchter wenig Freude an Wanderfalke, Habicht und Sperber. Deren Vermehrung "ufere seit Jahrzehnten aus". In der Folge habe sich die Anzahl der Verluste an Brief- und Rassetauben sowie an Rassegeflügel durch Greifvogelangriffe deutlich erhöht, heißt es in einer gemeinsamen Petition an die Regierungen der Bundesländer aus dem Jahr 2016. Darin wird auch die Festsetzung einer Jagdzeit für Wanderfalke, Habicht und Sperber gefordert. Erfolgreich waren die Tauben- und Geflügelzüchter mit ihrem Vorstoß allerdings nicht.
Lindeiner glaubt, dass die toten Greifvögel zum Teil auch "Kollateralschäden" seien, wenn eigentlich Füchse oder Marder das Ziel gewesen wären. Er spricht von "Selbstjustiz", die man nicht hinnehmen dürfe. In Spanien, erzählt der LBV-Experte, sei man da schon weiter: "Dort findet eine professionelle Spurensicherung statt, es gibt Hausdurchsuchungen, das wird behandelt wie ein ganz normaler Kriminalfall." Das Projekt "Tatort Natur" solle nicht nur die Sensibilität für Umweltkriminalität bei der Bevölkerung erhöhen, sondern durch die Datenerhebung auch dazu beitragen, ein Täterprofil zu erstellen. Nicht zuletzt gehe es um "soziale Kontrolle". "Unser Ziel ist, das so bekannt zu machen, dass die Menschen sich melden."
Es handelt sich um eine echte schwere Straftat und nicht um eine Ordnungswidrigkeit.
Hier ist die Webseite "Tatort Natur" zu finden.
Anzeichen einer Vergiftung
Nicht jeder tot aufgefundene Greifvogel muss eines unnatürlichen Todes gestorben sein. Bei diesen Anzeichen sollte man laut "Tatort Natur" allerdings misstrauisch werden.
- In der unmittelbaren Nähe eines toten Greifvogels liegt etwas, das ein Giftköder sein könnte. Andererseits muss auch kein natürlicher Tod vorliegen, wenn kein Köder zu sehen ist. Die Gifte wirken je nach Stoffgruppe und Dosierung unterschiedlich schnell.
- Vergiftete Greifvögel haben oft die Krallen auffällig verkrampft oder zeigen krampfartig verdrehte Gliedmaßen. Häufig haben sie den Köder noch im Rachen stecken, der nicht selten aus dem Schnabel ragt. Das Vorhandensein eines schleimigen Austritts aus dem Schnabel kann ein weiteres Indiz sein.
- Eine Häufung toter Greifvögel deutet ebenso auf eine unnatürliche Todesursache hin. Die Mehrzahl der vergifteten Greifvögel finden sich in intensiv jagdlich genutzten Revieren mit hohem "Niederwildanteil" – also in offenen Landschaften mit Äckern und Wiesen.
Entwarnung im Staatsforst
In den letzten Jahren sind viele seltene Vogelarten in die Oberpfalz zurückgekehrt. So brüten inzwischen wieder Fischadler, Seeadler und Schwarzstörche in den ausgedehnten Wäldern der Region. Größere Nachstellungen seien bislang nicht bekannt, sagt Philipp Bahnmüller, Leiter des Forstbetriebs Schnaittenbach. "Dafür sind wir als Bayerische Staatsforsten wohl auch viel zu präsent." Rätsel geben dem Förster allerdings Vorfälle im Hessenreuther Wald bei Pressath (Kreis Neustadt/WN) auf, wo ein Habichtskauzprojekt läuft. Bereits zweimal sind dort Auswilderungsvolieren beschädigt worden. Unbekannte schnitten Löcher in das Drahtgeflecht der Voliere. Warum das geschah, bleibt unklar – zumal die geschützten Käuze zum Zeitpunkt der Anschläge bereits "ausgeflogen" waren.
Umweltkriminalität betrifft uns alle
Mit der Natur ist das so eine Sache - nicht jeder kann sich mit ihr anfreunden. Die einen schütten tonnenweise Schotter aufs von Gabionen umgrenzte Grundstück und gönnen sich allenfalls noch ein paar grotesk verstümmelte Koniferen in ihrem Zeitgeistgarten. Das ist ein Massenphänomen, ökologisch und ästhetisch höchst fragwürdig, aber nicht strafbar.
Einer Minderheit scheint indes sogar die Entfaltung der freien Natur zu missfallen. Wie sonst lässt es sich erklären, dass Fallen aufgestellt, Giftköder ausgebracht und tödliche Schüsse abgegeben werden, um missliebige Arten zu dezimieren? Diese „Selbstjustiz“ ist strafbar, die Aufklärung der Taten jedoch nicht einfach .
Nicht jeder mag Umweltkriminalität als wichtiges Thema sehen, manche werden sagen, es gebe größere Probleme als ein paar verendete Bussarde. Jedem sollte jedoch klar sein: Giftköder auszubringen ist kein „harmloser Spaß“. Sondern feige, heimtückisch und brandgefährlich. Denn wer mit dem Gift in Berührung kommt, ist letztlich unvorhersehbar – der verhasste Beutegreifer, der Haushund beim Gassigehen oder – Gott bewahre – ein spielendes Kind.
Gabriele Weiß