Wissenschaftlerinnen von Bio-Variance dem Rätsel Depression auf der Spur

Tirschenreuth
19.04.2023 - 13:08 Uhr
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Mit der Studie "P4D" wollen Wissenschaftler deutschlandweit Depressionen erforschen und die Behandlung erleichtern. Wie das gelingen soll, berichten eine Biologin und eine Mathematikerin von der Firma Bio-Variance in Tirschenreuth.

Eine Depression gehört noch immer zu den meist unterschätztesten Erkrankungen. "Es ist eine weit verbreitete Krankheit, die mit vielen Stigmata behaftet ist", erklärt die 26-jährige Biologin Judith Mehler aus Tirschenreuth. Nicht selten ist das eine Hürde, dass die Krankheit erst spät oder gar nicht erkannt wird. Dabei kann eine Depression entscheidend das Denken, Fühlen und Handeln eines betroffenen Menschen beeinflussen und es gehen Störungen von Hirn- und anderen Körperfunktionen damit einher.

"Dass es eine Krankheit ist, gegen die man eine Behandlung braucht, wird oft außer Sicht gelassen", sagt Judith Mehler, die seit rund einem Jahr bei der Bio-Variance GmbH arbeitet. Gemeinsam mit ihrer Kollegin und Mathematikerin Gina Pommerenke (25) aus Tröstau (Landkreis Wunsiedel) beteiligt sich Mehler an dem deutschlandweiten Forschungsprojekt "P4D", das zum Ziel hat, die Therapie, Früherkennung, Diagnostik und Prävention von depressiven Erkrankungen zu verbessern und individuelle Behandlungsansätze für Patienten zu entwickeln.

Behandlung schlägt oft spät an

Bislang wird eine Depression mit Psychotherapie oder Medikamenten behandelt. Doch nur bei der Hälfte der Patienten schlagen diese Methoden an. "Das erste Antidepressivum, das im Rahmen einer Depressionstherapie verabreicht wird, wirkt beispielsweise nur bei jedem vierten bis fünften Patienten", wird Professor Dr. Helge Frieling, der stellvertretende Leiter der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie, in einer Pressemitteilung der Medizinischen Hochschule Hannover zitiert. Er koordiniert die Studie "P4D". So dauert es oft lange, bis eine richtige medikamentöse Einstellung bei einem Patienten erfolgt ist.

Die Firma Bio-Variance, die Mitte März ihre neuen Büroräume in der ehemaligen Knopffabrik Meyer in Tirschenreuth eingeweiht hat, ist das einzige Unternehmen, das an der Studie mitarbeitet, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 10 Millionen Euro über fünf Jahre gefördert wird. "Es ist die größte Studie, die je in Deutschland zum Thema Depression gemacht wurde", weiß Geschäftsführer Dr. Josef Scheiber von Bio-Variance. Aktuell beteiligen sich drei seiner Mitarbeiter daran. "Wenn Daten vorliegen, können weitere dazukommen", sagt er. In seinem Unternehmen, das 2013 gegründet wurde, sind 30 Personen beschäftigt.

Neues Markenimage

Durch den Umzug vom Gründerzentrum Waldsassen nach Tirschenreuth bieten sich Bio-Variance weitere Möglichkeiten, zu wachsen. Damit geht ein neues Markenimage einher. So hat das Unternehmen im Fokus, die menschliche Lebensdauer durch eine Vereinfachung der Behandlung von komplexen Erkrankungen zu verlängern. "Krebs-, Infektions-, neurodegenerative und psychische Erkrankungen sollen zukünftig so einfach therapierbar sein wie eine normale Erkältung", heißt es.

Die Beteiligung an der Studie "P4D" ermöglicht dem Unternehmen, diesem Ziel einen Schritt näher zu kommen. Zudem arbeiten an dem Forschungsprojekt sieben Universitäten, das Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin sowie die Stiftung Deutsche Depressionshilfe.

Studie noch am Anfang

Wie die jungen Wissenschaftlerinnen Judith Mehler und Gina Pommerenke berichten, ist die Studie noch in der Anfangsphase. "Wir sind gerade im Harmonisierungsprozess mit anderen Studienstandorten", sagt Gina Pommerenke. So werden einheitliche Verfahren eingeführt und eine gemeinsame technische Infrastruktur aufgebaut, um Daten und Messwerte am Ende ohne Fehler auswerten zu können und vergleichbar zu machen. "Die richtige Durchführung startet ab Herbst", weiß Gina Pommerenke, die auf Data-Science (Gewinnung von Wissen aus Daten) spezialisiert ist und in der Vorlaufphase der Studie involviert ist.

Die Studie ist auf 1000 Teilnehmer ausgelegt, die an den Universitätskliniken in Hannover, Kiel, Greifswald, Würzburg und Frankfurt gesammelt werden. Von ihnen werden Befunde mittels Kernspintomografie, Elektroenzephalografie (Gehirnmessungen), Schlafanalysen, körperlicher Untersuchungen, verschiedener Fragebögen und Blutproben erhoben und ausgewertet. "Auf diese Weise sollen auch physiologische Zusammenhänge der Depression herausgefunden werden. Das ist gerade noch eine Black-Box", sagt Judith Mehler, die gerade auch ergänzend zur Studie ihre Doktorarbeit in Zusammenarbeit mit der Medizinischen Hochschule Hannover schreibt.

Biomarker für schnelle Diagnose

Mit der Studie soll eine Messmethode entwickelt werden, um abseits von Fragebögen Krankheiten diagnostizieren zu können. Laut Judith Mehler könnte im besten Fall eine Blutprobe von einem Patienten genommen werden, womit die Krankheit schneller erkannt werden kann. Das könnte etwa mit Hilfe eines Biomarkers geschehen. "Wir sind an einem simplen Marker dran, den wir als Produkt mit einer Partnerfirma entwickeln", erklärt Dr. Scheiber. Bei einem Biomarker handelt es sich um Moleküle oder Zellen, die durch ihre Anwesenheit oder unnormale Konzentration im Blut oder in einer anderen Körperflüssigkeit auf eine Krankheit hinweisen. Die Biomarker werden eingesetzt, Patienten zielgerichtet zu behandeln. Auf diese Weise soll ermittelt werden, welches Medikament oder welche Therapiemethode dem Patienten hilft.

Unter dem Begriff Depression verstecken sich verschiedene Krankheiten. Noch immer ist vieles darüber nicht bekannt. Deshalb wird beabsichtigt, die Menge an Daten und Werten am Ende zu verknüpfen und für behandelnde Ärzte und Therapeuten nutzbar zu machen. Ein Teilprojekt des Forschungsprojekts widmet sich auch der Entwicklung von Algorithmen, welche die verschiedenen Krankheitsbilder bestimmen können.

Laut Dr. Josef Scheiber erkranken 10 Prozent der Krankenversicherten in Deutschland jährlich an einer Depression. "Es ist eine der relevantesten Erkrankungen bei Berufstätigen", betont er. Die Studie sei relevant für Betroffene, Angehörige aber auch für Krankenkassen. "Es ist der größte Posten, was das Krankengeld betrifft. Wenn Personen schneller wieder fit sind, ist das auch für Krankenkassen eine Entlastung", so Scheiber.

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Weiden in der Oberpfalz03.06.2022
Hintergrund:

Die Studie "P4D"

  • Abkürzung für personalisierte, prädiktive, präzise und präventive Medizin zur Verbesserung der Früherkennung, Diagnostik, Therapie und Prävention depressiver Erkrankungen
  • Studienkoordinator: Professor Dr. Helge Frieling, stellvertretender Leiter der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover
  • Studienstandorte: Medizinische Hochschule Hannover, Leibniz Universität Hannover, TU Braunschweig sowie die Universitäten Greifswald, Würzburg, Kiel und Frankfurt, das Fraunhofer Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin, die Stiftung Deutsche Depressionshilfe, Bio-Variance GmbH in Tirschenreuth
  • Teilnehmer: 1000
  • Start: voraussichtlich Herbst 2023
 
 

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