90 Jahre ist es her, dass das Konzentrationslager (KZ) Dachau durch die Nazis eröffnet wurde. Das weckt bei Georg Schmidbauer, Geschichtskenner aus Oberbernrieth, Erinnerungen an das Leben eines Mannes, der als einer der Ersten in Dachau inhaftiert wurde: Hans Beimler, der bis zu seinem 16. Lebensjahr am Fuße des Fahrenberg aufgewachsen ist. Er war gelernter Schlosser und später Freiheitskämpfer und Kommunist. Waldthurn hat ihm im Herbst 2016 sogar ein Denkmal gesetzt.
„Am 1. April 1933 haben sie unseren Waldthurner Freiheitskämpfer gefasst“, erinnert sich auch der Waldthurner Bürgermeister Josef Beimler an seinen Namensvetter. Am 22. März 1933 begannen im KZ Dachau die Nazis mit dem Morden – nur acht Tage später fassten sie den gesuchten Waldthurner. Der KPD-Abgeordnete erkannte schnell die Gefahr, die von der Nazi-Diktatur ausging. Viel Zeit für seine politische Betätigung im Reichstag blieb ihm nicht. Mit dem Machtantritt Hitlers am 30. Januar 1933 hatten die „braunen Machthaber“ das Sagen und die Hatz auf politisch Andersdenkende begann. Die Schuld am Berliner Reichstagsbrand etwa schob Hitler den Kommunisten zu.
Hans Beimler wetterte gegen die Nazis und ging zusammen mit der kommunistischen Parteiführung in den Untergrund. Es lag ein Haftbefehl gegen ihn vor, und zunächst konnte Beimler seinen Verfolgern entkommen. Doch trotz aller Vorsicht wurde er Anfang April – vermutlich war Verrat im Spiel – durch die SS in Zivil festgenommen. Im Polizeipräsidium verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. „Den Beimler ham ma, den Beimler ham ma.“ SA und SS überschütteten ihn mit allerhand Beschimpfungen. „Na Bürscherl, in Dachau sehn wir uns wieder. Jetzt ist es aus mit der Weltrevolution – Du Hetzer!!!“ protzten sie.
Verhöre und Misshandlungen folgten. 14 Tage lang war Hans Beimler in den Verließen des Münchner Polizeipräsidiums furchtbaren Schmerzen ausgesetzt – brechen konnten sie den harten Waldthurner Schlosser aber nicht. Im KZ verschärften sich die Quälereien und Beimler wurde zum Selbstmord aufgefordert. So beschloss der damals 38-Jährige, auszubrechen.
Laut den Aufzeichnungen des Heimatforschers Schmidbauer bereitete der Gefangene Schritt für Schritt seine riskante Flucht vor. Ein Mithäftling besorgte ihm eine Blechschere und ein Werkzeug zum Lockern von Schrauben und Nägeln. In der Nacht zum 9. Mai war es dann so weit – die spektakuläre Flucht begann. Beimler verließ den Arrestbau durch das Oberlicht seiner Zelle und näherte sich dem Stacheldrahthindernis mit dem dahinterliegenden elektrisch geladenen Drahtzaun, das gefährlichste Hindernis.
Beimler schnitt zunächst mit der Blechschere ein kleines Loch in die vordere Drahtsicherung, die nicht unter Hochspannung stand. Dann arbeitete er sich kriechend mit einem Holzbrett durch diese Öffnung zum Todesdraht vor, schob die Bohle über das Hindernis, legte sich auf sie und ließ sich mit dem Übergewicht auf die andere Seite des Stacheldrahtzauns fallen. Geschützt durch das Holz, das den Stromfluss isolierte, gelang ihm das tollkühne Unternehmen ohne jede Verletzung. Nach einem Sprung in die Freiheit musste er noch einen Wassergraben überwinden und über freies Feld seinen Weg fortsetzen.
Die Nachricht von der Flucht des Häftlings verursachte bei den Bewachern eine regelrechte Panik. „Soweit bekannt, dürfte dies die einzige Flucht aus dem KZ Hauptlager Dachau gewesen sein, bei dem der Flüchtige nicht wieder gefasst werden konnte“, so Schmidbauer weiter.
Sechs Wochen blieb Beimler unerkannt in München und begann mit der Niederschrift seiner Erlebnisse – das erste Zeugnis über die Unmenschlichkeit im KZ. Beimler floh über Berlin zuerst nach Prag, dann nach Moskau, wo im August 1933 seine Aufzeichnungen „Im Mörderlager Dachau – vier Wochen in den Händen der braunen Banditen“ in Druck gingen. Am 1. Dezember 1936 starb der Waldthurner unter ungeklärten Umständen vor Madrid.
Im Westen hatte man nach dem Zweiten Weltkrieg Hans Beimler vergessen oder bewusst als Kommunist totgeschwiegen. In der ehemaligen DDR galt er aber als Kämpfer für die Arbeiterklasse gegen den Faschismus und wurde geradezu als Held verehrt.
Zur Person Hans Beimler
- Leben: geboren am 2. Juli 1895 als Sohn eines Landarbeiters und einer Magd; aufgewachsen bis zum 16. Lebensjahr bei den Großeltern in Waldthurn; verstorben am 1. Dezember 1936 in Madrid
- Politisches Engagement: Mitglied der KPD (Kommunistische Partei Deutschlands), Stadtrat in Augsburg, Mitglied im Landtag (April 1932) und Reichstag (ab Juli 1932)
- Widerstand: 1. April 1933 Festnahme durch die Nazis; in der Nacht zum 9. Mai 1933 Ausbruch aus dem KZ Dachau
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