Impfnachweis und Maskenbefreiung: Schummeln kostet vier Monatslöhne

Weiden in der Oberpfalz
24.06.2022 - 09:08 Uhr
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Maske tragen? Sich impfen lassen? Das wollte 2020/21 nicht jeder. Im Internet fanden sich szenebekannte Ärzte, die massenweise falsche Atteste ausstellten. Ihre Kunden zahlen jetzt die Quittung – vor Gericht.

Die Demo 2020 auf dem Volksfestplatz.

Die nächste Corona-Welle naht schon. Und noch immer muss sich die Justiz mit den Verstößen gegen die Infektionsschutzgesetze von 2020/21 befassen. Nicht jeder zahlt seine Strafe anstandslos.

Dienstag am Amtsgericht Weiden. Innerhalb von zwei Stunden sind drei Verhandlungen gegen Angeklagte angesetzt, die sich falsche Impfnachweise oder Maskenbefreiungen besorgt hatten. Inzwischen hat sich eine Art „Standardtarif“ der Staatsanwaltschaft Weiden eingependelt: plus/minus 120 Tagessätze, also etwa vier Monatslöhne. Wer den Strafbefehl nicht akzeptiert, kommt zum Strafrichter.

Fall 1: Der falsche Impfaufkleber

Vor Richterin Carina Särve steht ein 27-Jähriger. Er hat gegen seine Geldstrafe (150 Tagessätze aufgrund von Vorstrafen) Einspruch eingelegt. Der Arbeitssuchende hatte im Herbst 2021 eine Stelle in Aussicht. Voraussetzung: die doppelte Impfung. Laut Verteidigerin Ilka Lang-Seifert hatte er aber schon bei der ersten Dosis „massive Nebenwirkungen“. Der junge Mann besorgte sich falsche Aufkleber für sein Impfbuch. Damit ging er in eine Neustädter Apotheke und holte sich ein Zertifikat für das Smartphone.

Der „Schmu“ fiel auf. Die Polizei rückte im November um 6.30 Uhr zur Durchsuchung in seiner Wohnung an. Ein Polizist erinnert sich an Diskussionen: „Er sehe das alles nicht ein, er werde hier schikaniert und als Schwerverbrecher behandelt. Ob ich nicht auch der Meinung sei, dass das von der Regierung falsch ist.“ Der Beamte kannte den Mann von einem Vorfall im Supermarkt, wo er ohne Maske Hausverbot bekommen hatte.

Vor Gericht findet es der junge Mann nach wie vor „krass“, dass seine Schwindelei eine Urkundenfälschung sein soll. „Ich habe den Druck damals einfach nicht mehr ausgehalten und wollte mir eine Lösung schaffen.“ Auch Anwältin Lang-Seifert sieht in der Tat eher den „Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse“. Die Rechtslage ist kompliziert, erst im November 2021 wurde das Gesetz ergänzt.

Richterin Carina Särve bleibt dabei: Urkundenfälschung, 120 Tagessätze, „keine Überraschung“. Die Beweggründe seien für sie zwar „ein Stück weit nachvollziehbar“: „Sie wollten in die Arbeit gehen. Sie wollten Ihre Lebensqualität zurück.“ Dennoch bleibe sie bei der „Linie des Hauses“: „Und das sind 120 Tagessätze.“

Fall 2: Maskenbefreiung nach Live-Untersuchung

Richter Hubert Windisch wartet drei Zimmer weiter indessen vergeblich auf seinen Angeklagten. Der 60-Jährige aus Cham hatte im Herbst 2020 bei einer Corona-Demo auf dem Weidener Festplatz eine fragwürdige Maskenbefreiung vorgelegt. Diese hatte ihm der Arzt Dr. Rolf Kron aus Kaufering ausgestellt, eine der Gallionsfiguren der Bewegung „Ärzte stehen auf“. Der Mediziner soll den Chamer bei einer Demo in Stuttgart vor Ort untersucht haben und für 17 Euro das Befreiungsattest ausgestellt haben.

Dieses Dokument zeigte der 60-Jährige der Polizei vor. Die Quittung: Ein Strafbefehl über 90 mal 50 Euro wegen des Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse. Er legte Einspruch ein. Am Dienstag sollte nun verhandelt werden. Am Ende wird daraus nichts. Wenige Minuten vor Verhandlungsbeginn geht ein Attest auf Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten ein.

Fall 3: Ein Freispruch

Zurück zu Richterin Carina Särve. Die nächste Angeklagte. Die Frau (37) zeigte im Januar 2021 bei einer Demo gegen Corona-Maßnahmen in Altenstadt/WN der Polizei eine Maskenbefreiung vor. Diese stammte aus der Praxis des Arztes im Landkreis Schwandorf, gegen den die Staatsanwaltschaft Amberg ein größeres Ermittlungsverfahren führt. Er soll mehrere hundert Atteste aus Gefälligkeit und ohne Untersuchung ausgestellt haben.

Die 37-jährige Angeklagte wehrt sich gegen die Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 40 Euro. Sie sei tatsächlich Patienten der Praxis. Es bleiben Zweifel – und im Zweifel für den Angeklagten. Richterin Carina Särve spricht die 37-Jährige frei.

Der Lockdown – für die Justiz ist er noch lange nicht ausgestanden. Viele gehen durch alle Instanzen. Demnächst steht die Berufung gegen einen Vohenstraußer (51) an. Er hatte sich Atteste bei dem österreichischen Arzt Peer Eifler besorgt. Der Mediziner, der inzwischen in Tansania im „Exil“ lebt, erteilte Maskenbefreiungen nach einem Telefonat (und einer Paypal-Zahlung von 10 Euro). Der Vohenstraußer zeigte das Attest zweimal der PI Weiden vor, einmal bei der Ballweg-Demo, einmal in der Fußgängerzone. Einen Strafbefehl über 150 Tagessätze akzeptierte er nicht, auch das Amtsgerichtsurteil über 120 Tagessätze à 10 Euro nicht. Jetzt muss das Landgericht entscheiden.

Hintergrund:

Die Delikte

  • Urkundenfälschung:
    Herstellung, Fälschung und Gebrauch unechter Urkunden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft
  • Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse:
    Neu seit 2021: Wer im Rechtsverkehr (vorher nur bei Behörden und Versicherungen) ein unrichtiges Gesundheitszeugnis gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft.
Weiden in der Oberpfalz24.10.2020
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Weiden in der Oberpfalz10.05.2020
 
 

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